Nightschool. Du darfst keinem trauen
Ruth hatte ganz verängstigt ausgesehen, als sie sie alarmiert hatte. Weiß wie ein Bettlaken. Allies Instinkt riet ihr, Ruth zu decken, obwohl sie sie eigentlich nicht besonders gut kannte.
Ruth hätte uns wahrscheinlich nichts verraten dürfen.
Isabelle sah sie aufmerksam an. »Und was ist dann passiert?«
»Wir wussten sofort, dass irgendwas nicht stimmt, aber keiner hat uns gesagt, was los ist.« Der letzte Satz klang etwas selbstmitleidig, aber es war ja auch wahr: Wieso taten immer alle so geheimnisvoll?
»Ist das alles?« Die Rektorin machte den Eindruck, als würde sie ihr glauben, weshalb Allie fand, es sei an der Zeit, ihrerseits ein paar Fragen zu stellen.
»Wissen Sie denn, was passiert ist?«, fragte sie. »Carter weigert sich, mir irgendwas zu sagen, und alle anderen tun so, als hätte ich was ganz Schlimmes angestellt.«
Isabelle beugte sich vor. »Das tut mir leid, Allie. Das ist nicht in Ordnung. Du bist schließlich neu hier, woher solltest du Bescheid wissen? Mir ist noch nicht ganz klar, was da passiert ist und wobei die Jungen sich verletzt haben, aber ich bin fest entschlossen, es herauszufinden.«
»Es sah einfach … echt übel aus«, sagte Allie.
Isabelle erhob sich. »Ich glaube, das sah schlimmer aus, als es war. Soweit ich weiß, wurde niemand ernsthaft verletzt. Manchmal laufen solche Spiele einfach aus dem Ruder. Mach dir keine Sorgen. Ich werde mit den Beteiligten sprechen.«
Isabelle ließ ihre Hand auf Allies Schultern fallen und drückte sie leicht, ehe sie an ihr vorbeiging und ihr die Tür aufhielt.
»Danke, Allie. Ich bin froh, dass bei dir alles in Ordnung ist. Um Phil mach dir mal keine Gedanken – um den kümmert sich unser medizinisches Personal. Und die Verletzungen von Carter und Gabe sind offensichtlich nur oberflächlicher Natur.«
Obwohl Allie das Gefühl hatte, sie hätte noch mehr Antworten verlangen sollen, ergab Isabelles Erklärung Sinn. Jungs gerieten ständig in solche Situationen – wie oft hatte sie erlebt, dass Mark und Harry sich verletzt hatten. Mehr als einmal waren sie in der Notaufnahme gelandet, wenn beim nächtlichen Sprayen irgendwas schiefgegangen war.
Aber was könnte denen da draußen im Wald passiert sein? Und wieso sagt mir niemand was?
Wieder auf ihrem Zimmer, ließ sie die nassen Klamotten auf den Boden fallen und schlüpfte in trockene Sachen. Vor der Nachtruhe wollte sie noch einmal nach unten und herausfinden, wie es den anderen ging.
Sie war gerade dabei, zartrosa Lipgloss aufzutragen, als sie mitten in der Bewegung innehielt. Soll ich mich doch mit Carter treffen?
Eigentlich wollte sie ihn nicht sehen – er hatte sich wie ein komplettes Arschloch benommen. Aber neugierig war sie schon. Wieso wollte er sie allein treffen? Und wieso im Rittersaal? Seit Isabelle ihr diesen beim ersten Rundgang gezeigt hatte, war sie nicht mehr dort gewesen.
Allie sah auf die Uhr. Es war erst zehn. Vor der Nachtruhe war also noch ausreichend Zeit.
Sie huschte die Treppen hinunter und schlich dann auf Zehenspitzen über den Gang Richtung Rittersaal.
»Allie.« Es klang wie eine Liebkosung. Allie fuhr herum – der Besitzer der Seidenstimme stand direkt hinter ihr. »Ich habe gehofft, dass ich dich noch sehe«, sagte Sylvain. »Ich habe mir Sorgen gemacht – geht es dir gut?«
Er zog sie an sich und schloss sie in die Arme. Nach kurzem Zögern erwiderte Allie seine Umarmung. Behutsam strich er ihr mit den Fingern über den Rücken bis zur Taille.
Gänsehaut.
Er trat einen Schritt zurück und betrachtete sie. »Ich bin so froh, dass dir nichts passiert ist.«
»Mir geht’s gut.«
Sie suchte nach einer Ausrede für das, was sie vorhatte. Es würde ihm gar nicht gefallen, zu erfahren, dass sie im Begriff war, sich mit Carter zu treffen. Aber was er nicht weiß, macht mich nicht heiß.
»Ich war gerade auf der Suche nach Jo …«, sagte sie.
»Die ist, glaube ich, bei Gabe.« Er hatte die Finger unter ihr Kinn geschoben und hob ihren Kopf so, dass sie ihn anschaute. Sie konnte seinen Atem auf ihrer Wange spüren. Er roch nach kühlem Wacholder.
»Was hattet ihr eigentlich im Gartenpavillon verloren, Jo und du?« Sylvains Tonfall war beiläufig, aber irgendetwas an seinem Benehmen ließ bei ihr die Alarmglocken schrillen. »Zelazny war stocksauer, dass du da warst.«
Spioniert der mir hinterher?
»Es war vor der Nachtruhe«, wehrte sich Allie. »Ich verstehe nicht, wieso sich alle daran stören, dass wir draußen waren. Wir
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