Nightschool. Du darfst keinem trauen
sah sie eindringlich an, doch sie widerstand seinem Blick.
»Wieso sollte ich dir trauen? Du traust mir ja auch nicht.«
Sie standen im Rittersaal. Überall leuchteten Kerzen – von Tischen, Fensterbrettern und riesengroßen Kandelabern glitzerten sie ihnen entgegen und verbreiteten eine große Hitze.
Carters Augen glänzten. »Aber ich kann dir helfen …«
Jemand bollerte gegen die Tür. Allies Herz pochte bedrohlich.
»Sie sind da«, sagte er.
Es bollerte wieder, nachdrücklicher diesmal. Das Geräusch war betäubend, und Allie hielt sich die Ohren zu.
»Wer ist das? Wer ist da, Carter?«
»Du musst mir einfach vertrauen«, drängte er sie. »Vertraust du mir?«
Über seine Schulter hinweg sah sie, wie die Tür unter den Schlägen zu bersten begann.
»Ja!«, schrie Allie und streckte die Arme nach ihm aus. »Ja, ich vertraue dir!«
Allie saß senkrecht im Bett und schnappte nach Luft. Ihre Fäuste ballten sich um die Bettdecke.
Ein lauter Knall ließ sie zusammenzucken, doch es war nur der Fensterladen, der von einem heftigen Windstoß gegen die Mauer gedrückt wurde. Das Fenster stand offen.
Allie kletterte auf den Schreibtisch, um aus dem Fenster zu schauen, und sah, dass sich über Nacht ein Sturm zusammengebraut hatte – die Bäume schwankten im Wind, und die von den Ästen befreiten Blätter tanzten hoch über ihrem Kopf.
Die Luft roch frisch. Allie verriegelte sorgfältig das Fenster und kroch wieder in ihr Bett.
Sie zog die Bettdecke hoch und brummte laut: »Raus aus meinem Kopf, Carter West.«
Neun
Als am Montag der Unterricht wieder aufgenommen wurde, hatte Allie das beunruhigende Gefühl, all die Ereignisse des Wochenendes hätten gar nicht stattgefunden. Jeder saß zur gewohnten Zeit auf seinem gewohnten Platz, und Jerry und Zelazny behandelten sie so, als hätten sie Allie nie im strömenden Regen einen Verband anlegen sehen.
Sylvain erschien nicht zum Englischunterricht, dafür kam Carter mit der üblichen Verspätung. Isabelles genervten Blick quittierte er nur mit einem süffisanten Grinsen. Hätte Carter nicht immer noch einen Verband um die Stirn getragen, Allie hätte sich ernsthaft gefragt, ob sie sich das alles nicht nur eingebildet hatte.
Zwischen den Stunden traf sie sich mit Jo in der Bibliothek, wo sie sich flüsternd darüber austauschten, wie es weitergegangen war, nachdem sie sich im Gartenpavillon getrennt hatten. Gabe habe letztlich nicht einmal genäht werden müssen, erzählte Jo, und die Schwester habe Allies Verbandskünste gelobt.
»Und jetzt möchte Gabe natürlich unbedingt wissen, wie wir da am Pavillon gelandet sind, aber … nachdem du gemeint hast, ich soll Ruth aus dem Spiel lassen, hab ich nichts gesagt. Wieso soll ich ihm das eigentlich nicht sagen?«
Allie beugte sich vor. »Das kann ich dir nicht … Es ist einfach wichtig, … dass du’s nicht tust.«
Tatsächlich war sie die halbe Nacht auf gewesen und hatte überlegt, was sie Jo erzählen sollte. Sie wollte ihre einzige Freundin in Cimmeria nicht anlügen, aber sie hatte Carter versprochen, nichts zu sagen.
»Ich weiß nicht, wie ich’s dir erklären soll. Ich habe irgendwo aufgeschnappt, dass Ruth dann ziemlichen Ärger kriegen könnte.«
Gespannt beobachtete sie Jos Mienenspiel.
»Na gut, aber wenn ich ihm nicht die Wahrheit sagen darf, wie soll ich ihm dann unsere Anwesenheit im Gartenpavillon erklären?«
Allie ließ nervös den Stift zwischen den Fingern ihrer rechten Hand kreiseln, sodass er sich ohne Unterbrechung bis zum kleinen Finger drehte.
»Wir könnten ja sagen, dass wir Wahrheit oder Pflicht gespielt und sie irgendwie ausspioniert hätten. Oder dass ich im Regen hätte Laufen gehen wollen und du versucht hättest, mich davon abzuhalten.«
Jo legte den Kopf schief. »Von diesen beiden ziemlich bescheidenen Möglichkeiten finde ich die erste noch etwas weniger beknackt.«
Allie lächelte. »Danke, Jo.«
In den darauffolgenden Tagen schossen die Gerüchte darüber, was an jenem Abend im Wald wirklich passiert war, nur so ins Kraut. Jeder wusste, dass es mehrere Verletzte gegeben hatte, aber keiner konnte sagen, was genau eigentlich vorgefallen war. Den Schülern wurde verboten, die Außenanlagen zu betreten, was die Gerüchteküche nur noch mehr anheizte. Dass Allie und Jo auch dabei gewesen waren, schien keiner zu wissen. Das am weitesten verbreitete Gerücht besagte, dass die Jungs sich mit demselben Fuchs angelegt hatten, mit dem bereits Jo und Allie
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