Nightschool. Du darfst keinem trauen
der Polizei erzählen, dass sie eine Ausreißerin war. Und die Polizei wird ihnen glauben, weil Ruths Vater Investmentbanker ist und ihre Mutter Designerklamotten trägt, und solche Leute lügen ja bekanntlich nicht, oder?«
Allie traute ihren Ohren nicht. »Ist das dein Ernst, Carter? Willst du damit sagen, dass alles vertuscht werden soll?«
»Aber natürlich, Allie. Es gibt einen Grund, weshalb du noch nie von Cimmeria gehört hast, bevor du hierhergekommen bist«, sagte er bitter. »Hast du’s immer noch nicht begriffen? Weißt du immer noch nicht, wo du hier gelandet bist?«
Allie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie suchte nach den richtigen Worten. »Was geht hier wirklich ab, Carter?«
»Das versuche ich ja selber gerade herauszufinden«, sagte er und starrte über den Friedhof hinweg. »Schau, Cimmeria ist ein ungewöhnlicher Ort, wo alles eng miteinander zusammenhängt und jeder jeden kennt. Jeder ist aus einem ganz bestimmten Grund hier. Erinnerst du dich noch an diesen komischen Streit, den wir hatten, als wir uns kennengelernt haben? Als du dachtest, ich würde behaupten, du hättest kein Recht, hier zu sein?«
Allie nickte, schamrot bei dem Gedanken an diese Demütigung.
»Es kommen einfach keine neuen Schüler mitten im Trimester hierher, die keine starke Verbindung zu der Schule haben«, erklärte Carter. »Wie zum Beispiel, dass ihre Eltern im Aufsichtsrat sind. Oder dass ihre ganze Familie schon hier zur Schule gegangen ist. Oder irgend so was in der Art. Ich hab die ganze Zeit nur herauszufinden versucht, zu welcher Gruppe du gehörst. Aber du gehörst zu keiner. Du hast überhaupt keinen Bezug zu dieser Schule.«
Er sah ihr in die Augen. »Und das gibt’s eigentlich nicht.«
Allie hielt sich mit den Knien am Ast fest und kaute auf ihrem Daumennagel herum, während sie versuchte zu verarbeiten, was er da gerade sagte. Mit der fortschreitenden Abenddämmerung schwand das Licht mehr und mehr, und es fiel ihr immer schwerer, Carters Züge auszumachen.
»Ich weiß nicht, was ich dir erzählen soll«, sagte Allie. »Meine Eltern haben mir gesagt, die Polizei hätte ihnen Cimmeria empfohlen.« Sie überlegte kurz. »Zumindest haben sie so was in der Art gesagt. Aber sie waren total geheimniskrämerisch, bevor wir hierhergekommen sind. Sie wollten mir nicht mal sagen, wo die Schule ist. Ich weiß immer noch nicht, wie die nächstgelegene Stadt heißt. Das lief alles so komisch holterdiepolter und James-Bond-mäßig ab.«
Carter schüttelte den Kopf. »Die Londoner Polizei hätte dieses Internat niemals empfohlen, weil die bestimmt noch nie davon gehört haben. Also haben dich deine Eltern angelogen. Die spannende Frage ist nur, warum sie das getan haben.«
Allie spürte ihr Herz wie verrückt klopfen. Sie versuchte, normal zu atmen und nicht in Panik zu geraten. (Fünfmal ein-, viermal ausatmen. )
»Weißt du was, Carter?«, sagte sie mit gepresster Stimme und schluckte schwer. »Du hast recht. Ich hab wirklich keine Ahnung, wo ich bin.«
»Dann solltest du’s rausfinden«, sagte Carter. »Und du musst dir schleunigst klar darüber werden, wem du vertrauen willst.«
Achtzehn
Allie überforderte das Ganze etwas. Fröstelnd schlang sie die Arme um ihren Oberkörper. »Also, Carter, wenn du mir Angst einjagen willst, dann ist dir das absolut gelungen. Könntest du jetzt bitte damit aufhören?«
Eine Weile erwiderte er nichts, dann seufzte er tief auf. »Es tut mir leid, dass ich dich damit konfrontiere. Ich will dir keine Angst einjagen. Aber ich möchte dir begreiflich machen, dass die ganze Sache sehr ernst ist.«
»Dass es ernst ist, wusste ich, seit ich in einer Lache aus Ruths Blut ausgerutscht bin«, blaffte sie zurück. »Ich hab’s kapiert, ja? Verdammt, ich hab’s kapiert. Hier ist ganz schön die Kacke am Dampfen! Hier sterben Menschen. Dieses Internat ist total irre. Und ich gehöre hier echt nicht hin.«
Carter rutschte auf dem Ast heran, bis er so nah bei ihr war, dass sich ihre Knie berührten. Als er sie umarmte, widersetzte sie sich, doch er ließ nicht los.
»Es tut mir leid. Vielleicht sollte ich dich mit dem ganzen Kram auch nicht belasten. Ich will einfach nicht, dass dir was passiert«, sagte er.
Sie holte zitternd Luft und ließ sich in seine Umarmung sinken. Die Wärme seines Körpers gab ihr ein Gefühl von Geborgenheit.
Er ließ sie wieder los und lehnte sich so weit zurück, dass er ihr ins Gesicht sehen konnte. »Ich hab das nur getan, weil ich mir
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