Nightshifted
jetzt.«
»Ich muss weg. Zumindest eine Zeit lang. Aber ich
weià nicht, wie lange das sein wird.«
»Das ⦠das soll jetzt aber keine schöne Umschreibung
für Sterben sein, oder?« Ich schaute zu ihm hoch. Sein Gesicht war
verschwommen, und ich wusste nicht, ob das an den ganzen neuen Narben lag oder
an meinen Tränen. »Weil du nämlich ⦠das ist nicht fair.«
»Ich werde nicht sterben, Edie. Ich gehe nur weg.
Aber erst mal bringen wir dich ins Krankenhaus. Und ich werde nicht gehen,
bevor ich weiÃ, dass du versorgt bist.«
»Geh nicht.« Ich verbarg mein Gesicht an seiner
Brust, wobei ich spürte, wie sein Fleisch unter dem Druck nachgab. Die nächste
Woge aus Erschöpfung und Kälte zog mich mit sich. »Wir reden darüber, wenn ich
wieder wach bin, okay?«
Er wollte noch etwas sagen, aber ich bekam es nicht
mehr ganz mit. Es klang wie »Schlaf gut« oder »Machâs gut«.
Kapitel 58
Â
»Mensch.«
Alles fühlte sich seltsam
an â aber es roch vertraut. Zu vertraut.
»Mensch.«
Etwas prallte hart gegen
mein Gesicht. Ich blinzelte und sah einen blonden Heiligenschein, der sich über
mich beugte. »Mensch?«
»Müde«, flüsterte ich, war aber nicht sicher, ob
dabei überhaupt ein Geräusch entstand.
»Willst du mein Blut, Mensch?«
Mit einem letzten Blinzeln öffnete ich die Augen.
Ãber mir hingen zwei Infusionsbeutel, aus denen durch einen y-förmigen Schlauch
eine rote Flüssigkeit in mich tropfte. »Blut?«
»Das ist das Blut von Sterblichen. Ich biete dir mehr
an.« Ein dünnes Handgelenk schob sich vor die Lampen der Notaufnahme. Auf
seiner Haut erschien ein greller Schnitt, dann quoll rotes Blut daraus hervor
wie aus einer aufgeplatzten Naht.
Entschlossen presste ich die Lippen aufeinander.
»Ich werde dich nicht zwingen.« Annas starke Finger
legten sich um mein Kinn und drehten meinen Kopf herum, sodass meine
Aufmerksamkeit sich ganz auf sie richtete. »Aber wenn du stirbst, werde ich
sehr verärgert sein.«
Meine Sicht trübte sich, und sie verschwand. »Ti?«,
fragte ich. »Anna?« Ich sah mich um. Die Notaufnahme des County war überfüllt,
und ich konnte schreiende Kinder, weinende Mütter und Gejammer in zwanzig
verschiedenen Sprachen hören, eben das gesamte Hin und Her von Leben und Tod,
das mich umgab.
Und ich war nur eine Stichverletzung an einem
Samstagabend.
Indem ich versuchte, aus dem Bett zu kriechen, winkte
ich mir eine Schwester heran. »Rufen Sie Meaty an. Auf Y4 .«
Sie wirkte verunsichert. Was verständlich war, denn
ich hatte ihr gerade den Namen einer Person genannt, der sie nie begegnet war,
und einen Ort, an dem sie nie gewesen war.
»Durchwahl sechs-sechs-null. Es ist wichtig. Sagen
Sie, Edie Spence ist hier«, flehte ich.
Sie hätte mich einfach ignorieren können, doch das
tat sie nicht. Als ich sah, wie sie zum Telefon ging, lieà ich mich erleichtert
auf mein Bett zurücksinken.
Kapitel 59
Â
Der Geruch von
Reinigungsmitteln und Bohnerwachs drang in meine Nase, als ich aufwachte. Ich
wusste, dass Ti weg war. Durch meine halb geöffneten Lider nahm ich rote
Fingernägel wahr.
»Edie Spence?«, fragte
eine Schwester aus der Tagesschicht, die ich flüchtig kannte, mit näselnder
Stimme. Ich tat so, als würde ich noch schlafen. Anscheinend hatte ich
überlebt, es sei denn, das hier war eine sehr authentische Form der Hölle.
Es schien ihr nicht wichtig genug, meine Augenlider
hochzuziehen und meine Pupillenreflexe zu prüfen, was gut war, denn mit diesen
Acrylkrallen hätte sie mir vielleicht einen ernsthaften Hornhautschaden
zugefügt. Stattdessen piekte sie mich ein paarmal zwischen die Rippen, während
ich mir alle Mühe gab, dazuliegen wie ein empfindungsloses Stück Fleisch.
SchlieÃlich hörte ich, wie sie ging, und ich wusste genau, was sie in die Akte
schreiben würde: Reaktion auf Schmerzreiz? Negativ.
Danach rollte ich mich im Bett herum wie ein normaler
Schlafender es tun würde. Mein gesamter Körper tat weh, ich hatte zwei
intravenöse Zugänge in meinem linken Arm und eine Rückenbandage im
Bauchbereich. Aber abgesehen davon fühlte ich eigentlich keine besonderen
Schmerzen.
Zumindest keine körperlichen. Doch jetzt, wo ich wach
war, stürmten die Erinnerungen auf mich ein. Ti, wie er sagte, dass er
fortgehen
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