Nikotin
nämlich der ei n gebildetste kleine Teufel, der mir je begegnete.«
Mr Satterthwaites Augen zwinkerten. Seiner Ansicht nach waren Schauspieler die eitelsten Wesen der Schö p fung. Sir Charles Cartwright nahm er hiervon nicht aus. Sir Charles’ Beschreibung amüsierte ihn köstlich.
»Wer ist es?«
»Ein wundervoller Geselle, obwohl ziemlich berühmt. Ihr habt vielleicht schon von ihm gehört. Hercule Poirot, ein Belgier.«
»Ah, der Detektiv«, sagte Mr Satterthwaite. »Ich habe ihn sogar einmal kennen gelernt. Ein außergewöhnlicher Mann.«
»Er ist eine Persönlichkeit«, entgegnete Sir Charles.
»Persönlich kenne ich ihn zwar nicht«, griff Sir Barth o lomew ein. »Doch sein Ruhm ist auch bis an mein Ohr gedrungen. Er nahm unlängst seinen Abschied, nicht wahr? Nun, Charles, hoffentlich werden wir an diesem Wochenende kein Verbrechen erleben!«
»Warum denn? Weil ein Detektiv unter mein Dach kommt? Das heißt, den Wagen vor das Pferd spannen, Tollie.«
»Meinst du? Ich habe da meine eigene Theorie.«
»Und die lautet, Doktor?«, fragte Mr Satterthwaite.
»Dass die Ereignisse zu den Leuten kommen und nicht die Leute zu den Ereignissen. Weshalb verläuft das Leben des einen stumpfsinnig und träge? Weshalb ist das des andern voll von Aufregungen? Wegen der Umwelt? Ke i neswegs!
Da kann ein Mensch um die ganze Erde reisen, und es wird ihm nichts zustoßen. Eine Woche vor seiner A n kunft findet ein Gemetzel statt, am Tag nach seiner A b reise ein Erdbeben, und das Schiff, das er fast benutzt hätte, geht mit Mann und Maus unter. Hingegen lebt ein anderer geruhsam in Balham und fährt jeden Tag in die Stadt zur Arbeit – und gerade ihm passiert allerhand. Er wird in eine Erpresserangelegenheit verstrickt, gerät in die Schlingen schöner Mädchen oder unter die Autodiebe. Meines Erachtens gibt es Menschen mit einer Veranl a gung für Schiffbrüche – selbst wenn sie auf einem spi e gelglatten See ein Boot besteigen, wird sich etwas erei g nen. Genauso brauchen Menschen wie dein Hercule Po i rot, Charlie, nicht nach Verbrechen auszuspähen – sie kommen zu ihnen.«
»In diesem Fall ist es vielleicht ein Segen, dass Miss Mi l rays Anwesenheit bei Tisch die Zahl dreizehn ausmerzt«, sagte Mr Satterthwaite.
»Nun, Tollie, wenn es dich so sehr danach gelüstet, kannst du meinetwegen deinen Mord haben«, meinte Sir Charles großmütig. »Ich stelle nur die eine Bedingung… dass ich nicht der Leichnam sein werde!«
Und lachend begaben sich die drei Herren ins Haus.
2
D as Hauptinteresse in Mr Satterthwaites Leben bildeten die Menschen. Frauen fesselten ihn jedoch mehr als Männer. Trotz seiner Män n lichkeit gab es einen fraul i chen Zug in seinem Charakter, der ihm Einsicht in die weibliche Seele verschaffte. Zeit seines Lebens hatten die Frauen sich ihm anvertraut, aber sie hatten ihn nie ernst genommen. Bisweilen erbitterte ihn dies ein wenig. Er saß – so kam es ihm vor – stets als Zuschauer in der L o ge, das Schauspiel beobachtend, aber nahm niemals auf der Bühne an dem Drama teil. Doch in Wirklichkeit pas s te die Rolle des Zuschauers für ihn sehr gut. Als er an diesem Abend in dem großen Raum saß, dem eine Firma für moderne Innenarchitektur geschickt eine gewisse Ähnlichkeit mit einer L u xuskabine gegeben hatte, interessierte ihn hauptsächlich die genaue Schatti e rung von Cy n thia Dacres’ Haar. Es war ein ganz neuer Ton – direkt von Paris eingeführt, vermutete Satterthwa i te –, der wie grünliche Bronze wirkte. Auch Mrs Dacres’ Figur passte sich genau den jeweiligen Forderungen der Mode an. Ihr Nacken und ihre Arme wiesen die Sonne n bräune des Sommers auf – ob natürlich oder künstlich, ließ sich nicht beurteilen. Das grünliche Haar war in eine Frisur geordnet, die nur die Hände des besten Londoner Friseurs g e schaffen haben konnten. Ihre ausgezupften Brauen, die dunkelgefärbten Wimpern, das raffiniert g e schminkte Gesicht und der Mund, dem der Lippenstift eine vollere Linie verliehen hatte, als er von Natur aus besaß, schi e nen sämtlich zur Vervollkommnung ihres Abendkleides, das von einem satten, ungewöhnlichen Blau war, beiz u tragen. Eine sehr schicke Frau, urteilte Mr Satterthwaite im Stillen. Wie sie wohl in Wirklichkeit sein mag…? Aber diese Frage bezog sich auf das Seelische, nicht auf das Körperliche.
Sir Charles mixte Cocktails und plauderte dabei mit Angela Sutcliffe, einer großen, grauhaarigen Frau mit einem boshaften Zug um den
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