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Nilowsky

Nilowsky

Titel: Nilowsky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Schulz
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ich dann zum Chemiewerk hinüber und wünschte mir, dass es in Flammen aufgehen möge. Vielleicht reichte ja ein Leck in einer Rohrleitung, damit sich eine kleine Pfütze aus Säure bildete, die sich durch eine weggeworfene Zigarettenkippe in unaufhaltsames Feuer verwandelte. Meine Eltern sollten nicht sterben bei diesem Brand, aber ein für allemal nach Prenzlauer Berg zurückziehen.
    Wenn sie sich am Abendbrottisch über ihre Arbeit unterhielten, tat ich so, als hörte ich überhaupt nicht hin. Einmal allerdings fiel es mir schwer, mein gespieltes Desinteresse aufrechtzuerhalten. »Ich frag mich«, sagte mein Vater, »weshalb die Afrikaner ausgerechnet zu uns ins Chemiewerk kommen müssen. Die begreifen noch nicht mal, was man ihnen erklärt, und am Ende lungern sie irgendwo rum, und man muss aufpassen, dass sie nicht heimlich saufen oder rauchen und die Sicherheit gefährden.«
    »Das ist internationale Solidarität«, erwiderte meine Mutter. »Da läuft nicht immer alles so einfach. Dafürsind das eben Entwicklungsländer, aus denen die Menschen kommen.«
    Die Afrikaner, so erfuhr ich aus dem weiteren Gespräch, waren schon seit fast vier Monaten in einer Wohnbaracke am Rande des Chemiewerks untergebracht. Und da internationale Solidarität offenbar eine Sache mit Geheimnissen war, wusste niemand im Werk, wie lange sie bleiben würden. Meinem Vater war aufgetragen worden, sie zu betreuen, und ich freute mich, dass zumindest diese Aufgabe ihm ausgesprochen missfiel.
    Ein paar Nachmittage später suchte ich nach der Baracke. Es war nicht schwer, sie zu finden. Ich musste nur durch die Bahndammunterführung und etwa dreihundert Meter links entlang durch ein Waldstück, schließlich kam ich auf einen Trampelpfad, der direkt zu dem rotgelb angestrichenen Holzhaus führte. Die Abgase des Chemiewerks zogen über das Haus hinweg und vermischten sich mit einem daraus aufsteigenden stechenden Ingwerknoblauchgeruch, der den Schwefelgestank fast übertünchte. Diesen Geruch hatte ich bislang noch nicht gekannt. Er war so eigenartig und intensiv, dass ich mir sicher war, ihn nicht mehr zu vergessen.
    Kein Mensch war zu sehen, nichtsdestotrotz hielt ich einen Abstand von mindestens dreißig Metern und verbarg mich außerdem hinter einem Baumstamm. Ich dachte: Möglicherweise wird einer dieser faulen, undisziplinierten Afrikaner irgendwann einmal seine Zigarettenkippe in eine Säurepfütze werfen. Havarie im Chemiewerk, das wäre was. Und dann hätten meine Eltern hier nichts mehr zu tun, und wir würden wegziehen.
    Plötzlich hörte ich Schritte hinter mir. »Na, suchste jemanden?« Es war Nilowskys Vater. Ein Grinsen, das mir irgendwie freundlich erschien, spielte um seinen Mund. Trotzdem jagten mir die vom Saufen verquollenen Augen in dem knochigen, rot geäderten Gesicht Angst ein. »Kann ick dir vielleicht helfen, wenne jemanden suchst?«
    »Ich suche niemanden«, antwortete ich und bemühte mich um eine feste Stimme.
    Das Grinsen von Nilowskys Vater wurde immer breiter. »Wenne die Neger sehen willst, musste später kommen. Die sind noch uff Arbeit. Aber die Weiber kochen schon.«
    »Ich weiß, dass die noch auf Arbeit sind«, behauptete ich. Und Nilowskys Vater, kurz und bündig: »Klar weißte das. Dein älterer Herr is ja zuständig für die.«
    Das klang wie eine Drohung, auf eine bestimmte Art aber auch respektvoll. Und dieses altmodische Dein älterer Herr – so hatte noch niemand meinen Vater bezeichnet. Am liebsten hätte ich den alten Nilowsky gefragt, was er denn eigentlich hier mache. Doch das traute ich mich nicht. Stattdessen sagte ich: »Ich bin nur auf ’m Spaziergang hier. Die Gegend erkunden.« Das hörte sich nach Rechtfertigung an, und darüber ärgerte ich mich. Nilowskys Vater nickte verständnisvoll. Sein Grinsen verschwand jedoch nicht.
    »Na denn spazier mal schön weiter«, rief er, drehte sich um und ging den Trampelpfad zurück.
    Ich wartete ein paar Minuten, dann machte ich ebenfalls kehrt. Als ich den Bahndamm passierte, entdeckte ich Nilowsky. Er saß an der Böschung und zählte Geldstücke in seiner Hand. Hoffentlich, dachte ich, bemerkter mich nicht. In diesem Moment hob er den Kopf und schaute zu mir. Er stand auf, steckte die Geldstücke in seine Hosentasche und kam auf mich zu. Er hinkte etwas. Ich dachte sofort: Das kommt von den Schlägen mit dem Feuerhaken.
    »Na, hat er dich gesehen, als du an der Baracke warst? Ist ja kein Wunder, wenn er dich gesehen hat. Ist ja immer an der

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