Nimm doch einfach mich
Constance-Billard-Flure. Offiziell waren Flip-Flops an der elitären Mädchenschule zwar verboten, aber in Anbetracht der vielen Regeln, die Baby in letzter Zeit gebrochen hatte, konnte sie sich nicht vorstellen, dass sich irgendjemand für eine derartige Lappalie interessieren würde. Sie war erst vor zwei Stunden aus Spanien zurückgekommen und wollte eigentlich nur noch in ihr Bett und ausgiebig Siesta halten. Aber kaum hatte sie nach der Landung ihr Handy eingeschaltet, war eine hysterische SMS ihrer Mutter eingegangen: Mrs McLean, die Rektorin der Constance Billard, wünsche sie unverzüglich zu sehen. Baby hatte natürlich gewusst, dass das auf sie zukommen würde – immerhin hatte sie für ihren Spontantrip eine Woche lang die Schule geschwänzt –, aber sie hatte nicht damit gerechnet, dass es schon so bald passieren würde.
»Mrs McLean erwartet Sie bereits«, verkündete die flusenhaarige Schulsekretärin Donna wichtigtuerisch, kaum dass Baby das Vorzimmer betreten hatte.
»Danke«, murmelte Baby und schlurfte in Mrs McLeans Büro. Sie kannte den Weg. Es war schließlich das vierte Mal innerhalb kürzester Zeit, dass die Rektorin sie zu sich zitierte.
»Baby, da sind Sie ja endlich!«, rief Mrs McLean, und ein strenger Ausdruck erschien auf ihrem großflächigen, teigigen Gesicht.
Baby setzte ihr süßestes »Ich bin doch nur ein unschuldiger Teenager und wir machen halt manchmal Blödsinn«Lächeln auf – ein Lächeln, das sie während ihrer kurzen Zeit an der Constance perfektioniert hatte. Sie hoffte nur, es würde reichen, um Mrs McLean – auch diesmal – dazu zu bringen, ihr diesen Ausrutscher durchgehen zu lassen.
Sie ließ sich auf das königsblaue Samtsofa fallen.
»Willkommen zurück, Baby. Ihre Mutter hat mich heute Morgen telefonisch darüber informiert, dass ich gegen Nach mittag mit Ihnen rechnen könnte«, begann Mrs McLean und lehnte sich in ihrem ledernen Bürosessel zurück. Normalerweise trug sie mit Vorliebe knallfarbene Hosenanzüge von Talbots, aber heute hatte sie sich für ein schlichtes schwarzes Kostüm entschieden.
Baby nickte höflich. Mehr als alles andere wünschte sie sich auf die Ramblas zurück, um in einer der rund um die Uhr geöffneten Bars einen trifásico zu trinken – einen köstlichen, mit einem Schuss Rum versetzten Kaffee, den sie dort entdeckt hatte. Sie musste lächeln, als sie daran dachte, wie einer der niedlichen Kellner versucht hatte, ihr Katalanisch beizubringen. Es hatte so unglaublich sexy geklungen, auch wenn er die ganze Zeit nur über seine Vespa gesprochen hatte.
Ihre Reise war eine geradezu magische Erfahrung gewesen, und als sie in Barcelona ins Flugzeug gestiegen war, wäre sie am liebsten gleich an irgendeinen anderen Ort weitergereist, nur um nicht an die statusbesessene Upper East Side zurückkehren zu müssen, wo sie sich immer noch nicht wirklich heimisch fühlte.
»Ich mache mir ernsthafte Sorgen um Sie, Baby.« Mrs McLean stützte ihre fleischigen Unterarme auf der Schreibtischplatte auf und blickte sie nachdenklich an. »Machen Sie sich nicht auch Sorgen um sich?«
»Es tut mir leid«, sagte Baby zerknirscht. »Aber den versäumten Unterrichtsstoff werde ich bestimmt schnell nachholen, das verspreche ich Ihnen!« Sie zog entschuldigend die Schultern hoch. Dass sie einfach nach Barcelona abgehauen war, zeugte nicht gerade von einem ausgeprägten Verantwortungsbewusstsein, das war ihr klar. Andererseits wusste sie, dass manche ihrer Mitschülerinnen wochenlang vom Unterricht befreit wurden, wenn ihre Eltern sie außerhalb der Schulferien zum Skifahren nach Gstaad oder auf eine Safari nach Tansania mitnehmen wollten. Wo war also das Problem?
»Mit Ihren Noten hat das nichts zu tun, Baby«, sagte Mrs McLean in einem Ton, der deutlich machte, dass sie wünschte, es hätte etwas mit Babys Noten zu tun. Dann hätte sie einfach einen Nachhilfelehrer für sie organisie ren können und die Sache wäre erledigt gewesen. »Offen gestanden geht es um Ihre Einstellung. Ich habe Ihnen mehrfach Gelegenheit gegeben, Ihr Fehlverhalten zu korrigieren, und wir haben alle unser Bestes getan, damit Sie sich auf der Constance wohler fühlen. Ich denke, es ist an der Zeit, dass Sie ernsthaft an sich arbeiten und uns beweisen, dass Sie wirklich ein Teil dieser Gemeinschaft sein möchten – und das auch verdienen. Sie beteuern dies zwar ständig, benehmen sich aber nicht dementspre chend.« Mrs McLean schürzte die Lippen. »Der einzige Grund, warum
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