Nimm mich, wie ich bin
sprechen. Zu Allys Entsetzen weigerte er sich, sich zu verteidigen. Er versuchte gar nicht erst, sich so etwas wie ein Alibi zu verschaffen.
Sie hatten sich im Hotel getroffen – Ally, Chance, der Leiter der Feuerwehr, der Brandschutzexperte, Jo und ein sehr stiller Brian.
“Brian, bitte.” Ally legte ihm eine Hand auf den Arm. “Sag ihnen nur, dass du das Feuer nicht gelegt hast.”
Er verzog voller Verbitterung den Mund. “Und sie werden mir glauben, was?”
“Ich werde dir glauben.”
Der Junge starrte finster auf den Boden und presste die Lippen zusammen.
“Wirklich. Wir alle werden dir glauben.” Sie sah Chance hilfesuchend an. “Nicht wahr?”
Ausnahmsweise war sein Ausdruck nicht gereizt oder leidenschaftlich, sondern beunruhigt. “Sag einfach die Wahrheit, Brian”, sagte er leise. “Mehr wollen wir nicht.”
“Aber Sie wissen doch schon, wo ich gestern war. Auf dem Berg. Erinnern Sie sich nicht? Sie waren wütend, als Sie mich sahen. Wie immer.”
Chance schloss kurz die Augen. “Weißt du, warum du mich wütend machst?”
“Ja. Ich bin Ihnen ständig im Weg.”
“Weil du mich an mich selbst erinnerst, als ich in deinem Alter war und mich einen Dreck um anderer Leute Regeln kümmerte.”
Allys Herz machte einen Sprung. Sie verstand Chance jetzt, ob es ihm gefiel oder nicht. Sie konnte seine Sehnsucht nach Unabhängigkeit und Freiheit verstehen und seinen Schmerz, als Tina starb. Schließlich war er zu Lucy gekommen und hatte bei ihr ein Zuhause gefunden. Er hatte gelernt, dass man im Leben nicht unbedingt einsam sein musste. Aber wie sollte man das einem Teenager klarmachen, der nie etwas anderes als Einsamkeit kennengelernt hatte?
“Ich bin nicht wütend oder genervt, wenn ich dich sehe”, sagte Chance zu Brian. “Es tut mir leid, dass ich dir diesen Eindruck vermittelt habe. In Wirklichkeit mache ich mir Sorgen.”
Brian starrte ihn an. “Sie … machen sich Sorgen um mich?”
“Mehr als du dir vorstellen kannst.”
Brian brauchte einen Moment, um das zu verarbeiten. “Aber gestern gab es eine Million anderer Typen auf dem Berg, und Sie nerven keinen von denen wegen des Feuers. Weil Sie glauben, dass ich das letzte Feuer gelegt habe, aber das ist nicht wahr.” Seine Stimme war nur noch ein Flüstern. “Ich war es wirklich nicht.”
Chance stand auf, ging um den Tisch herum zu Brian und setzte sich neben ihn. “Ich glaube dir, Brian. Wir alle haben mit dir gearbeitet und kennen dich jetzt. Wir wissen, wie glücklich du hier bist und dass du es nicht getan haben kannst.” Er sah ihm ernst in die Augen. “Aber die Polizei kennt dich nicht. Sie kennt nur deinen Ruf, und der wird dich leider noch eine ganze Weile verfolgen.”
Brian schien jedes Wort gierig aufzusaugen. “Ich habe mich geändert.”
“Ich weiß, mein Junge. Also hilf uns, dir zu helfen.”
Brians Angst war überdeutlich. Ally war kurz davor, in Tränen auszubrechen. Wie oft in seinem Leben hatte jemand sich für ihn eingesetzt und ihm versprochen, ihm zu helfen? Wahrscheinlich niemals.
“Bitte, Brian”, drängte Chance sanft.
Brian schluckte mühsam und wich seinem Blick aus. “Ich habe nichts zu sagen.”
Brian wurde nicht angeklagt. Es gab keine Beweise, und obwohl es vielleicht nie welche geben würde, beschloss Ally, dass sie das Risiko nicht eingehen konnte. Sie würde die Angelegenheit selbst in die Hand nehmen. Sie packte etwas Proviant in ihren Rucksack und war entschlossener denn je, Brians Unschuld zu beweisen.
Sie achtete nicht auf Jos Warnung, sich nicht allein auf den Weg zu machen. Es war die einzige Möglichkeit. Also nahm sie eine Karte mit, doch als sie am Beginn des Pfades stand und zum Gipfel hinaufsah, zögerte sie doch ein wenig.
Der Berg war so riesig.
Aber schließlich war sie nicht allein. Überall würde sie Wanderern und Radfahrern begegnen.
Sorgfältig immer in der Mitte des schmalen Weges bleibend, der sie zum Gipfel führen würde, wischte sie endgültig alle Einwände ihrer inneren Stimme beiseite. Aber nach zwanzig Minuten anstrengenden Wanderns hatte sie immer noch keine Menschenseele gesehen. Ihr Atem ging schwer, der Schweiß lief ihr zwischen den Schulterblättern herunter. Sie blieb einen Moment stehen, um wieder zu Atem zu kommen, da hörte sie hinter sich eine sehr vertraute, so unglaublich aufregende Stimme.
“Was zum Teufel machst du hier?”
Himmel, diese Stimme. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals, einzig und allein, weil sie ihn vor sich stehen
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