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Nimmermehr

Nimmermehr

Titel: Nimmermehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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ich das zu hören. Mama findet, dass ich zu wenig Kontakt zu Gleichaltrigen pflege. Ich sei eigenbrötlerisch und manchmal sogar richtiggehend garstig zu anderen Menschen.« Sie berührte flüchtig den Kamin. »Na ja, vielleicht haben sie da sogar recht. In der Schule bin ich die Seltsame, das komische Burgfräulein, das gute Noten schreibt und in den Pausen allein in den Ecken des Schulhofs sitzt und sein Notizbuch vollkritzelt.« Ihr Gesicht verriet mehr als ihre Worte. »Großmutter fördere dieses Verhalten, meint Mama. Und Papa betont andauernd, dass Luzia schon immer ihren Kopf durchgesetzt habe, was das Leben mit ihr nicht immer einfach gemacht habe.«
    »Aber du magst deine Großmutter.«
    »Ich liebe sie«, gab sie zu. »Mehr noch. Sie ist mein Vorbild.« Ganz leuchtende Augen bekam sie, als sie das sagte. »Luzia hat in ihrem Leben so viel aus eigener Kraft geschafft. Wow! Dafür muss man sie einfach bewundern.«
    »Es ist gut, wenn man jemanden wie sie in der Familie hat.« Überraschend kalt klangen diese Worte, und irgendwie schienen sie gar nicht zu mir zu gehören.
    »Was ist mit deinem Vater?«
    »Ich habe versucht ihn zu erreichen.«
    »Und?«
    »Nichts.«
    »Glaubst du, dass er noch herkommt?«
    »Vor Weihnachten?«
    Sie nickte.
    »Nein.« Dessen war ich mir mittlerweile sicher.
    »Ist es schlimm für dich?«
    Ich atmete tief durch. »Nein, nicht wirklich.« Einen Moment lang fühlte ich mich ganz leer. »Doch«, gab ich zu, »ist es wohl. Es ist das erste Weihnachtsfest ohne meine Familie.«
    »Willst du mir davon erzählen?«
    »Ja.« Es verwunderte mich selbst, wie schnell mir diese Antwort über die Lippen kam.
    »Hier?«
    Unsere Blicke begegneten sich. Wir schwiegen.
    »Willst du die Comics sehen?«, fragte Greta. »Ja«, murmelte ich, ohne zu überlegen, irgendwie glücklich und unsicher. Doch mit ganzem Herzen.
     
    Das Comtessenzimmer befindet sich im Obergeschoss des Rübenacher Hauses und wirkte trotz der Kälte gemütlich, was wohl an den dekorativen Wandmalereien lag, die mit ihren üppigen Blumen-, Frucht- und Rankendarstellungen eine wohnliche Wärme zauberten. Hinter den Bleiglasfenstern heulte der Wind, und man konnte erkennen, dass sich erneut Schneeverwehungen zwischen den Fensterrahmen gebildet hatten. In der Mitte des Raumes befand sich ein auf Stufen stehendes, prachtvolles Himmelbett, dessen samtgrüner Baldachin mit spätgotischen Kampf- und Turnierszenen bestickt war.
    »Hier habe ich mich schon als kleines Mädchen oft herumgetrieben«, gestand mir Greta. »Wenn die Touristen in den Raum kamen, dann habe ich mich dort im Bettkasten versteckt und mir vorgestellt, die Touristen seien böse Raubritter, die nach langer Belagerung in die Burg eingedrungen waren und mir, dem armen alleingelassenen Burgfräulein, nach dem Leben trachteten.«
    Sie ging zum Bett hinüber, kletterte die Stufen hinauf, stieg flink hinein und zog hinter einem der Vorhänge einen Stapel staubiger Notizbücher hervor. Dicke Bücher waren es, fest in Leinen gebunden.
    »Komm!«
    Sie saß an der Bettkante und ließ die Füße baumeln. Den Kerzenleuchter hatte sie neben sich auf den schmalen Rand, der das Bett umgab und den man vorzüglich als Ablage nutzen konnte, gestellt.
    Ich tat wie geheißen.
    Nahm neben ihr Platz.
    »Sei vorsichtig«, ermahnte sie mich.
    Und überreichte mir das erste Buch.
    Ich schlug es auf.
    »Wow!«
    Sie lächelte glücklich. »Die sind alle im letzten Jahr entstanden.«
    Die Seiten waren voller Zeichnungen, manche davon mit Sprechblasen. Schwarzweiße Skizzen, flüchtig und doch akribisch von einem zarten Bleistift auf das grobe Papier gehaucht. Skurrile Gesichter aus der Nähe betrachtet, schön durch ihre Einzigartigkeit. Gesichter mit schrägen Zügen, die so liebenswert vertraut erschienen, dass man sich zu fragen begann, was denn an den Schönheitsidealen, die all die Zeitschriften zierten, so besonders sein sollte. Immer wieder tauchte ein kleines Mädchen auf, das meistens traurig wirkte, nachdenklich. Ein Mädchen, das die Haare kurz geschnitten und ein doppeltes Ohrläppchen hatte. Ein Mädchen, das in vielen Bildern immer aus den Schatten herauslugte, das gar nicht so recht zu all den anderen Menschen dazuzugehören schien.
    »Herrje«, murmelte Greta, »das da ist Lady Luna. Meine Kreation.«
    »Sie sieht aus wie du.«
    Verlegen starrte sie auf die Skizze.
    »Sie ist hübsch«, sagte ich.
    »Findest du?«
    »Ja.«
    »Sie ist allein«, erklärte Greta. »Weil sie Lady

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