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Nimmermehr

Nimmermehr

Titel: Nimmermehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Luna ist. Weil sie so gern Solaris treffen würde.« Sie überlegte kurz, suchte nach Worten. »Irgendwie weiß sie, dass es Solaris ist, nach dem sie sich sehnt. Der sie wärmen würde. Doch sie ist Lady Luna. Und sie gehört nun einmal in die Welt der Schatten. Nur dort kann sie atmen. Und wenn die Sonne die Schatten vertriebe, dann wäre es um sie geschehen. Also hat sie sich damit abgefunden, Solaris niemals in die Arme schließen zu können.«
    »Es gibt kein glückliches Ende?«
    Greta senkte den Blick. »Noch nicht.«
    »Aber die Geschichte ist noch nicht zu Ende erzählt.«
    Sie zuckte die Achseln.
    Die Stille des verschneiten Winterwaldes umgab uns, selbst hier im Comtessenzimmer.
    »Kennst du Peter Pan?«, wollte sie mit einem Mal wissen.
    »Ja.«
    »Richtig gut?«
    »Na ja, es geht. Warum?«
    »Es ist eine schöne Geschichte und …«
    »Und?«
    Sie atmete tief ein und sagte dann: »Jonathan Morgenstern.«
    Sonst nichts.
    Erwartungsvoll begegnete ich ihrem Blick.
    »Ich möchte dir etwas schenken.«
    Ich sagte nichts.
    Meine Hände zitterten ein wenig, glaube ich.
    »Ich möchte dir einen Kuss schenken.« Und schnell fügte sie hinzu: »Ist das okay?«
    Was sollte ich darauf erwidern?
    Völlig überrascht saß ich neben ihr, unfähig mich zu bewegen.
    Greta kramte flink etwas aus ihrer Hosentasche hervor und hielt es mir entgegen.
    »Was ist das?« In dem flackernden Kerzenschein fiel es mir schwer, das kleine Ding zu erkennen.
    »Das ist mein Kuss«, sagte sie ernst. Mit ganz glasigen Augen.
    Es war ein Fingerhut.
    Der silbern im Kerzenschein glänzte.
    Sie ergriff meine Hand und legte den Fingerhut hinein.
    »Dass ist mein Kuss«, wiederholte sie. »Damit du mich niemals vergisst.«
    Ein Fingerhut.
    So winzig und unscheinbar.
    Und doch ein Versprechen.
    Ganz fest, so fest.
    Stumm saßen wir da.
    Blätterten in den Notizbüchern, die so voller Zeichnungen waren, dass man den Geschichten gar nicht mehr entrinnen konnte. Die ganze Zeit über hielt ich Greta Grillparzers Kuss fest in der Hand. Ganz warm fühlte er sich an. Ich blätterte mich durch die Abenteuer der Lady Luna, und derjenige Teil von mir, der strahlte wie Solaris, ahnte bereits in jener Nacht, dass mein Herz Burg Karfunkelstein niemals mehr würde verlassen können.
    Niemals.
    Nimmer. Nimmermehr.
    Die Weihnachtsfeiertage kamen. An Heiligabend führte ich ein kurzes Telefonat mit meinem Vater, der pausenlos sein Fehlen entschuldigte. Er habe sich natürlich mit der Absicht getragen, in die Eifel zu kommen, doch hätten es nicht zuletzt die starken Schneeverwehungen unmöglich gemacht. Zudem, und das erwähnte er nur am Rande, habe er sich mit Mama in »ihrer« alten Kneipe in der Schildergasse getroffen. Viel geredet hätten sie und so weiter und so weiter. Frohe Weihnachten wünsche er mir, und Mama täte das natürlich auch. Er habe ihr die Anschrift der Burg gegeben, und warum sie sich noch nicht gemeldet habe, wüsste er nun selbst nicht. Versprochen, dies zu tun, habe sie natürlich. Na ja, ich würde sie ja kennen, und manchmal wäre sie da etwas nachlässig. Aber das sei nicht weiter schlimm, denn sie liebe mich und so weiter. Er käme nach Weihnachten, so schnell es nur ginge. Herr Grillparzer habe ihn gedrängt, mit den Restaurationsarbeiten anzufangen und so weiter.
    »Frohe Weihnachten«, wünschte Greta mir.
    Das war mehr als genug.
    Dazu bekam ich noch ein Bild von ihr geschenkt. Eine Bleistiftzeichnung, die einen Raben zeigte, der auf einer verwitterten Mauer hockte. »Draußen beim kleinen Tierfriedhof«, erklärte sie mir, »trifft man ihn oft an.«
    Schweigend nahm ich zur Kenntnis, dass die Streitigkeiten zwischen Luzia Grillparzer und Gretas Eltern wohl heftiger waren, als ich ursprünglich vermutet hatte, denn niemand erwähnte die alte Frau auch nur in einem Nebensatz. Luzia ließ sich ihrerseits auch nicht dazu herab, dem Weihnachtsbaum einen Besuch abzustatten. Es war seltsam, wie sehr sich hier alle aus dem Weg zu gehen schienen. »Am besten ist«, bat mich Greta, »du erwähnst sie nicht einmal.«
    Natürlich tat ich ihr diesen Gefallen.
    Keine Frage.
    So gingen die Weihnachtsfeiertage in diesem Jahr vorüber. Die Welt war ein einziges Meer aus Schnee, der in immer dicker werdenden Flocken um die Burg wehte. Es schien nur Greta und mich zu geben in diesem Gewimmel aus stillem Weiß. Fast jeden Tag wanderten wir hinaus zum Tierfriedhof, und am späten Nachmittag meines vierten Tages auf Burg Karfunkelstein trafen wir

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