Nimmermehr
versorgen.
Und es war Jakob, der Jäger, der das Dorf am Ende erlöste. Der die Bestie bezwingen sollte. Von seinen Heldentaten, meine Töchtertöchter, soll diese Geschichte künden. Von Jakob, dem Jäger und dem Mädchen Rose mit der roten Mütze und dem Kampf gegen die Bestie, die Jakob zum Helden machte.
Das Dorf lag mitten im Wald, und die tiefen Wälder waren die Welt, in der wir lebten. Wir wussten, dass es jenseits der Wälder, überquerte man das Zerklüftete Gebirge und folgte man den von den Alten angelegten Handelsstraßen, Länder mit weiten Ebenen geben musste, die sich bis zu den Ufern blauer Ozeane erstreckten, an deren Gestaden man Sonnenuntergänge von solcher Pracht bewundern konnte, wie wir sie niemals zu Gesicht bekamen. Denn die wogenden Wipfel der Bäume ließen nur spärliches Licht auf den Waldboden fallen. Die Schatten waren überall, und in ihnen wisperte Getier und wuselten Wesen, von denen kleine Kinder träumten und manchmal schreiend und weinend erwachten. Es war ein hartes Leben inmitten der wogenden Laubbäume und feucht flüsternden Tannen.
Doch wir liebten die Wälder, wie es schon unsere Ahnen getan hatten. Sie gaben uns Holz und Früchte, und die Jäger brachten das Fleisch nach Hause, das dann über den knisternden Feuern zubereitet wurde. Wir lebten im Schutz der Bäume, denn die Zweige, die sie ausbreiteten, schützten uns vor den Unwettern, die gerade im Herbst über die Gegend hinwegzogen, bis die dicken Wolken vor den Gipfeln des Zerklüfteten Gebirges hängen blieben, sodass Regen und Hagel und Sturm die Bäume krümmten und das Laub peitschten und die Tiere den Schutz ihrer Höhlen suchen ließen, bis der Sonnenschein die wilden Wälder allmählich wieder zu trocknen begann. Ja, die Wälder waren unsere Welt.
Manchmal, ganz selten, kamen Wanderer und fahrende Händler in das Dorf und brachten Neuigkeiten mit aus weit entfernten Ländern mit Namen, die so exotisch und wundersam klangen wie die Namen der Dinge, die jene Händler feilboten. Kinder sprangen auf dem Dorfplatz um die Händler herum und ließen sich die Geschichten erzählen, die sie selbst dann noch als Erwachsene an ihre Kinder weitergeben würden.
Doch sollte ich zurückkehren zu der Geschichte, die zu hören ihr euch um das Feuer geschart habt, meine beiden Töchtertöchter.
Nun, denn. So lauscht.
Denn die Geschichte beginnt wie die meisten Geschichten.
Es war einmal …
Ja, es war einmal ein Mädchen namens Rose, das in unserem Dorf mit den schrägen Dachfirsten und schiefen Schornsteinen lebte. Das hinter den Wänden aus dicken Holzstämmen schlief und vom Kind zu einem jungen Mädchen heranwuchs. Es war ein außergewöhnlich hübsches Mädchen, müsst Ihr wissen. Mit roten Lippen und Wangen und einem sonnigen Gemüt und langem Haar, das außer an den warmen Sommertagen unter einer roten Mütze verborgen war, die des Mädchens Großmutter ihm gehäkelt hatte. Die jungen Männer im Dorf warfen Rose, wenn sie mit dem Korb über den Dorfplatz schritt, bewundernde und gleichsam sehnsüchtig entrückte Blicke zu, die Rose mit einem kecken Lächeln und manchmal auch mit einer dahingehauchten flotten Bemerkung beantwortete. Die Mutigen unter den jungen Männern sprachen ihr Komplimente aus, und die noch Mutigeren unterbreiteten ihr Einladungen. Ob man sie zum Tanze bitten oder zu einem Spaziergang überreden könne? Die Jünglinge lockten sie mit verheißungsvollen Worten, Versprechungen von oft zweifelhafter Absicht, die Rose mit einem Lächeln, das gar zauberhaft war, abwies.
Doch gab es auch einen Mann, dem Rose heimliche und bewundernde und gleichsam sehnsüchtige Blicke zuwarf. Dieser Mann war Jakob, der Jäger, der in einem alten Haus am Rande des Dorfes lebte und die meiste Zeit damit verbrachte, durch die Wälder zu streunen und dem Wild aufzulauern.
»Du bist so hübsch«, sagte er oft zu Rose.
Die dann lächelte.
»Und so keck.«
Rose schlug, wie es sich geziemte, die Augen nieder und ging ihres Weges.
Doch spürte sie des Jägers Blicke in ihrem Rücken.
Was ihr gefiel.
Es war eine heile Welt, in der Rose aufwuchs. Doch dann, in jenem Winter, kehrte der König der Wölfe nach langer Zeit in die Wälder zurück und führte seine Kinder in die Dörfer. Der Schrecken hielt Einzug, und die Menschen wussten allesamt von furchtbaren Dingen zu berichten. Von fleißigen Bauern, die auf den Feldern wilden Wolfsrudeln zum Opfer gefallen waren. Von unvorsichtigen Wanderern, deren
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