Nimmermehr
vieles bedeuten mochte. Die große Nase hielt er in den Wind, und die ergrauten Nackenhaare stellten sich auf.
Er jaulte laut.
Drehte sich um und verschwand flink im Winterwald.
Erst jetzt hörte Rose die Zweige knacken.
Sie trat auf den Weg, den sie kurz verlassen hatte, zurück.
Und da kam Jakob, der Jäger, durch den tiefen Schnee gestapft.
»Rose«, rief er überrascht aus und zog die Mütze vor ihr, und das trotz der eisigen Kälte.
»Jakob«, begrüßte ihn Rose und erklärte den Grund ihrer Wanderung durch den Winterwald.
»Es ist sehr leichtsinnig«, schalt Jakob das Mädchen. »Ein großer Wolf treibt sein Unwesen in den Wäldern. Um ihn zu erlegen, streife ich seit Tagen durch die Wildnis.«
»Du bist sehr mutig«, sagte Rose.
Jakob fühlte sich geschmeichelt. »Ich bin ein Jäger.«
»Du beschützt das Dorf.«
»Das ist meine Aufgabe.«
»Wenn du den Wolf erlegst, dann bist du ein Held.«
In den dunklen Augen des Jägers funkelte es freudig. »Erst einmal muss ich seiner Spur folgen.« Er schaute in den Schnee, kniete nieder und betrachtete die Spuren. Roch den frischen Speichel des Wolfes. »Er ist vor Kurzem hier gewesen.«
»Ich habe ihn nicht gesehen.«
»Ich weiß«, sagte der Jäger.
»Wie kannst du das wissen?«
Er lächelte wohlwollend. »Du dummes Mädchen, du würdest wohl kaum mehr mit mir reden können, wenn du dem Wolf begegnet wärest.«
Rose erwiderte nichts.
»Soll ich dich zur Großmuter geleiten?«, fragte Jakob.
»Ich finde den Weg schon allein.«
Doch wie es der Männer Art ist, blieb Jakob hartnäckig. »Die Wälder sind gefährlich, und du bist nur ein Mädchen. Nein, Rose, ich werde dich begleiten.«
So ließ es Rose eben geschehen.
Nebeneinander folgten die beiden dem gewundenen Weg durch den Winterwald.
»Du hast viele Verehrer.« Jakob wirkte ein wenig verlegen.
»Kann sein.«
»Du bist wunderhübsch.«
»Ach, rede nicht so.«
»Aber es stimmt.«
Der Waldweg schlängelte sich bergaufwärts.
Rose lauschte der Stille.
Schließlich sagte Jakob: »Auch ich finde dich hübsch.«
»Du redest viel für einen Jäger.« »Der Wald ist leise im Winter, und man muss nicht schweigen, um die Geräusche zu vernehmen.« »Das«, sagte Rose, »mag wohl so sein.« Und sie gingen schweigsam weiter.
Sie erreichten der Großmutter Haus in der Mittagszeit. Die kleine Kate befand sich auf einer Lichtung nahe der Gegend, die im Dorf als Tannengrün bekannt war. Ein hoher weißer Zaun umgab das Grundstück. Wie Zähne ragten die spitzen Latten, auf denen Schnee lag, aus der Erde. Efeu rankte sich um das Haus bis hinauf zum Dach, das an manchen Stellen gar den Boden zu berühren schien. Rauch quoll aus dem Schornstein.
Und aus dem Haus erklang ein Heulen, das langgezogen und wehmütig die Stille des Schnees zerschnitt.
Jakob stellte sich schützend vor das Mädchen und griff nach seiner Flinte.
»Bleib hinter mir, Rose!«, befahl er ihr.
Langsam nur näherten sie sich dem Haus, in dessen Innern das Heulen zu einem lauten Knurren anschwoll.
Jakob vergewisserte sich, dass er das lange Messer griffbereit an seiner Seite hatte.
Und Rose traten leise die Tränen in die Augen, weil sie ahnte, was geschehen würde. Was geschehen war. Dass das, was sie insgeheim befürchtet hatte, nun eingetreten war.
»Du musst keine Angst haben«, beruhigte Jakob sie. »Denn ich bin bei dir.«
Rose sah den Jäger an.
Schwieg.
Die Tür stand weit offen, und im Schnee fanden sich Wolfsspuren, die bis hinein ins Haus führten.
Sie traten ein.
Jakob, der Jäger, zuerst.
In der Stube, die Rose so gut kannte, waren die Möbel umgestoßen. Im Bett, das am anderen Ende der Stube stand und in dem Rose oft übernachtet hatte, saß ein riesiger Wolf. Um ihn herum verstreut lagen die Kleider der Großmutter auf dem Boden.
Der Wolf knurrte, und seine roten Augen, die im Wald noch so sanft gefunkelt hatten, leuchteten im Schein des flackernden Kaminfeuers bösartig auf.
Jakob legte die Flinte an und zielte.
Der Wolf setzte zum Sprung an, da wurde die Stille im Winterwald von einem lauten Schuss zerfetzt.
Rose schrie auf.
Das laute Wolfsheulen erstarb mit einem Mal.
So geschah es, dass an jenem Wintertag der Wolf erlegt wurde.
Rose kniete neben dem Leichnam des Tieres nieder. Ihre Hand strich durch das graue Fell, und dicke Tränen liefen ihr über das Gesicht.
»Du musst nicht um die Bestie weinen«, tröstete Jakob sie und legte eine Hand auf ihre
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