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Nimmermehr

Nimmermehr

Titel: Nimmermehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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den Raum erfüllte.
    »Manche Bücher sind so wahr, dass es sogar weh tut, wenn man sich an sie erinnert.«
    Dann machte sie abrupt auf dem Absatz kehrt und verschwand in einem Gang zu ihrer Rechten, ohne mir auch nur eine Sekunde weitere Beachtung zu schenken, geschweige denn, ein weiteres Wort mit mir zu wechseln.
    Für einige Augenblicke verharrte ich an meinem Platz. Vergessen waren LeFanu und meine Arbeit in der Kanzlei. Meine Gedanken kreisten um die traurige Miss Mystery. Diesen Gedanken nachhängend, schlenderte ich geistesabwesend durch den Laden, versuchte zwischen den vielen Regalreihen einen Blick auf die dunkel gekleidete Gestalt zu erhaschen. Dies jedoch ohne Erfolg. Ich begab mich hinab in denjenigen Teil des Ladens, der sich in den Kellergewölben befand, und wandelte ziellos durch die engen Gänge, ließ meine Blicke und Finger über die unzähligen Buchrücken gleiten. Schließlich erreichte ich ein Regal mit kunstvollen Ausgaben englischer Klassiker, Werken von Byron, Rymer und Collins. Ich berührte die Bücher sanft, war fasziniert von der schlichten Eleganz ihrer Aufmachung.
    Als mich die Hand an der Schulter berührte, zuckte ich unwillkürlich zusammen. Ich hatte mich in diesem Teil des Kellergewölbes allein gewähnt und war dermaßen in meine Gedanken versunken gewesen, dass ich niemanden hatte kommen hören. Überrascht und erschrocken sah ich mich der Unbekannten gegenüber. Sie stand dicht vor mir. Zu nah, wie es schien, für eine förmliche, unserem Verhältnis angemessene Begegnung. Sie hatte sich die Tränen aus dem Gesicht gewischt. Die Blässe jedoch war geblieben. Wieder fixierte sie mich, blickte mir direkt in die Augen. Mir war, als könne ich ihren Atem in meinem Gesicht spüren. Die Krempe ihres Hutes berührte fast meine Stirn.
    Ohne den Blick abzuwenden, flüsterte sie: »Kommen Sie heute Abend ins Sofra. Ich werde Sie erwarten.« Ihre Stimme klang ruhig und gefasst.
    »Wie heißen Sie?«
    »Nennen Sie mich einfach Miss Mystery.«
    Nachdem sie diese Worte an mich gerichtet hatte, verließ sie den Ort unseres zufälligen Zusammentreffens. Ihr überrascht nachschauend, hörte ich noch die sich entfernenden Schritte auf den steinernen Stufen der gewundenen Kellertreppe. Dann trat erneut Stille ein, und die vergangenen Augenblicke erschienen mir wie ein seltsamer Traum. Wer war diese Frau? Die modrige Kellerluft gab dieser Frage einen unangenehmen Beigeschmack. Ich wollte sie küssen und dabei unentwegt in diese blauen Augen schauen. Es kam mir vor, als wäre ich allein durch ihre Gegenwart hypnotisiert worden, als habe sie mich auf eine altmodische Art und Weise verhext. Die Intensität meiner plötzlichen und irrationalen Gefühle dieser Frau gegenüber ließ in der Tat den Verdacht aufkommen, hier sei Magie im Spiel.
    Ich beschloss, das Charnas zu verlassen und nach Hause zu gehen. Dass ich mich am Abend zu dem von ihr vorgeschlagenen Treffpunkt begeben würde, stand außer Frage.
     
    »Die Tür ist nicht verschlossen«, hörte ich sie sagen. Ein Kellner hatte mir eine Nachricht überreicht, in der eine Leonore mich bat, in eines der oberen Zimmer zu kommen.
    Ich drückte die verschnörkelte Klinke nach unten, ließ die Tür zur Seite gleiten. Sie gab mir den Blick frei auf einen karg eingerichteten Raum. Unter dem kleinen Fenster stand ein Sofa, davor ein runder Tisch sowie zwei Sessel mit hohen Lehnen. In einem dieser Sessel saß meine Bekanntschaft vom Leicester Square. Sie saß da, die Beine übereinandergeschlagen, in ihrem schwarzen Kleid – und musterte mich neugierig.
    »Miss Mystery?«
    Sie ließ ein helles Lachen vernehmen. »Nein, nicht Miss Mystery«, sagte sie und erhob sich aus dem Sessel. »Mein richtiger Name lautet Leonore Beaumont.« Ihre Bewegungen waren geschmeidig und elegant. »Leonore.« Sie kam auf mich zu und blieb kurz vor mir stehen, sah mich erwartungsvoll an. Es schien, als wiederhole sich der Augenblick in dem Buchladen. Dann ergriff ich zur Begrüßung ihre Hand.
    »Richard Crawford«, stellte ich mich vor.
    Ihre Haut war weich und warm und sehr blass.
    »Es ist gut, dass Sie gekommen sind. Dies alles erscheint Ihnen vermutlich seltsam, aber der Grund, weshalb ich Sie bat, hierher zu kommen, ist einfachster Natur. Ja, geradezu banal. Ich wollte Sie kennenlernen. Überrascht Sie das?«
    »Wenn ich Sie nicht hätte wiedersehen wollen«, gab ich zur Antwort, »dann wäre ich wohl kaum hier.«
    Sie forderte mich auf, in einem der Lehnsessel Platz zu

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