Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nimmermehr

Nimmermehr

Titel: Nimmermehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
Vom Netzwerk:
nehmen, und bot mir Tee an. Earl Grey, heiß, mit einem Schuss Zitrone. »Ich mochte Ihren Geruch«, sagte sie und beobachtete mich abwartend. »Als wir uns im Charnas begegneten, nahm ich Ihren Geruch wahr. Gerüche sind wichtig. Jede Haut hat ihren eigenen Duft. Manchmal sind diese Düfte so stark, dass man am liebsten gar nicht mehr davon ablassen möchte.« Sie nippte an dem Tee. Ihre Katzenaugen besaßen für einen Augenblick wieder diesen grünen Schimmer. Mein Blick glitt an ihrem Hals hinab, und ich verspürte das Verlangen, ihre Schultern zu berühren. Es war, als entstünde dieses Verlangen erst durch ihre Stimme. Ihre Brüste bewegten sich im Takt ihres Atems unter dem festen schwarzen Stoff des Kleides.
    »Was sahen Sie in dem Buchladen?«, wollte sie wissen. »Was sahen Sie dort, dass Sie der Einladung einer Unbekannten Folge leisteten?«
    Einen Moment lang zögerte ich. Dann sagte ich: »Ich sah eine junge Frau. Schön, geheimnisvoll, traurig. Jemand, dessen Weg zufällig den meinen kreuzt.« Ich lachte. »Miss Mystery.« Wurde wieder ernst. »Jemand, den ich nicht einfach so wieder aus meinem Leben verschwinden lassen wollte.«
    »Das klingt nicht nach einem belanglosen Gespräch zwischen zwei Fremden in der Nacht«, sagte sie. Ein angedeutetes Lächeln umspielte die schmalen Lippen. »Möchten Sie wissen, was ich sah?« Ohne meine Antwort abzuwarten, sagte sie es mir.
    »Sie sehen einiges«, gab ich zu.
    Dann redeten wir.
    Leonore saß da, und ihre Augen hefteten sich an meine Lippen, neugierig und schweigsam. Ich ertappte mich dabei, wie ich ihr von meinem Studium der Rechtswissenschaften an der University of London erzählte, von meinem Job in der Midland Kanzlei. »Ein gewöhnliches Leben«, schloss ich meinen Bericht.
    »Kein Leben ist ein gewöhnliches Leben«, stellte sie fest.
    Ich stimmte ihr zu. »Und wer ist Leonore Beaumont?«
    Sie wirkte nachdenklich. »Das bin ich«, gab sie mit leiser Stimme zur Antwort. Sie wirkte abwesend. Dann klärte sich ihr Blick wieder, als sei er nie so weit entfernt gewesen. »Ich bin mal hier und mal dort.« Sie schien eine Vorliebe für diese Art von Anspielungen zu haben. Ihre Stimme beschwor Geheimnisse herauf. Leonore Beaumont – allein der Name klang verheißungsvoll.
    »Im Charnas « , sagte sie, »hatte ich das Gefühl, dass wir einander begegnen sollten.« Zögerlich senkte sie den Blick, fixierte die Tasse auf dem Tisch. »Sie überraschten mich in einem Moment, in dem ich«, sie suchte nach der passenden Umschreibung, »nun ja, in dem ich ein wenig die Fassung verloren hatte.«
    Ich widerstand dem Drang, den Grund dafür zu erfragen.
    »Es machte mir nichts aus«, fuhr sie fort, »dass Sie mich in diesem Zustand sahen.« Ihr Blick war immer noch gesenkt.
    Stille trat ein.
    Schließlich erhob sich Leonore langsam aus ihrem Sessel und ging zum Fenster, starrte nach draußen in die Dunkelheit. Regentropfen prasselten gegen das Glas und bildeten kleine Rinnsale. Leonores Gesicht spiegelte sich wie ein Schatten im Fenster. Ich folgte ihr, trat von hinten an sie heran, betrachtete ihren Nacken und spielte mit dem Gedanken, ihn zu berühren, die weiche Haut mit der Zunge abzutasten.
    »Was wird nun passieren?« Meine Frage war nur ein Flüstern.
    Unten von der Straße klang das unartikulierte Geschrei betrunkener Kneipenbesucher herauf, der jammervolle Versuch, ein Trinklied zum besten zu geben. »Hören Sie nur«, sagte Leonore nachdenklich. »Die Kinder der Nacht. Welch liebliche Musik sie machen.« Sie drehte sich zu mir um und zeigte ein süffisantes Lächeln. Instinktiv berührte ich ihr Gesicht, langsam, auskostend. Die schmalen Augenbrauen, ihre Wange, den Hals. Sie ließ es geschehen, beobachtete mich nur mit ihren blaugrünen Katzenaugen. Dann umfasste sie mein Gesicht mit beiden Händen »Was wird nun passieren?«, flüsterte sie. Ihre Augen begannen feucht zu glänzen, als sie die Frage stellte. Ihre Lippen öffneten sich kaum merklich. Sie atmete schneller. »Was geschieht nur mit uns?« Tränen traten ihr in die Augen. Es war der gleiche Gesichtsausdruck wie im Buchladen. Mit der rechten Hand griff sie in mein Haar, ließ ihre Finger langsam hindurchgleiten. Ihr Gesicht näherte sich dem meinen. Ich atmete den Geruch eines leichten Parfums, vermischt mit dem Duft ihrer Haut, und wollte nur mehr die Augen schließen, mich ganz und gar auf sie einlassen.
    »Lass dich fallen«, hauchte sie.
    Und wir ließen uns fallen – gleich dort und in dem

Weitere Kostenlose Bücher