Nimmermehr
Kompliment bezüglich ihres Haars gemacht zu haben. Dann biss ich, einem Drang folgend, in ihren Hals, riss an dem festen jungen Fleisch und spürte das warme Blut über meinen Körper sprudeln. Sie hatte keine Gelegenheit zu schreien. Wie ein Tier trank ich ihr Blut und grub meine Finger in ihren Körper. Ich hörte kaum die Stimme Vatheks, der mir laut und entsetzt Einhalt gebot. Es war ein Rausch aus Gier und Machtgefühl. Den Arm des Mädchens konnte ich ohne Mühe aus dem Gelenk reißen. Meine Hand grub sich in den Brustkorb der Kleinen und zerrte an den Eingeweiden. Ich erinnere mich, wie ich einen Teil ihres Herzens zwischen den Zähnen zermalmte. Dann spürte ich die starken Arme Vatheks, der mich von der Kleinen wegzog. Er warf mich zu Boden, und ich bemerkte den Abscheu in seinen Augen. Er schalt mich, einem Tier ähnlicher zu sein als einem Wesen unserer Art. Es sei unehrenhaft, seine Beute derart zu schänden. Voller Scham starrte ich auf den Mädchenkörper, der zerfetzt im hohen Gras lag, in dessen leeren Augen und nassen Eingeweiden sich die Mittagssonne brach. Zikaden sangen leise, und das Rauschen der Zitronenbäume vermischte sich mit den Vorwürfen des Paschas. Nur langsam beruhigte ich mich. Mein Körper zitterte vor Erregung. Nie hatte ich derartiges verspürt. Es war die Macht, die der Adler verspürt, wenn er aus den Lüften herniederstößt. Die Macht, über Leben und Tod zu gebieten.
Einzig das Entsetzen in den Blicken Vatheks rief mich zur Besinnung. Nie habe er erlebt, dass ein Wiedergänger seine Unschuld so verloren habe. Er ermahnte mich, niemals wieder die Kontrolle über den Trieb zu verlieren. Wir seien keine Tiere, auch wenn die Menschen uns als solche ansähen. Wie jeder Jäger hätten wir die Pflicht, die Beute zu ehren, weil wir nur durch sie das Leben geschenkt bekämen. Die Wut in seinen Augen trat unverkennbar zutage. Das ist es, woran ich mich noch deutlich erinnere. An den Zorn und die Verwirrung in den Augen des Paschas.
Wegen dieses Vorkommnisses unternahmen wir bereits am Folgetag einen Ausritt ins Gebirge. Der Pantokrátor ist ein Berg im Norden der Insel. Dorthin führte mich Vathek.
Ich war guter Laune an jenem Tag, da am Morgen ein Brief des Kaisers eingetroffen war, in dem er mir mitteilte, die Kinder schon bald in Venedig sehen zu können. Da ich mich geweigert hatte, nach Wien zu reisen, empfand ich diesen Vorschlag als ein Zugeständnis an meine Überzeugungskraft. Das Erlebnis des vorigen Tages hatte ich zu verdrängen versucht. Es hatte uns Mühe gekostet, unbemerkt zur Villa zurückzukehren. Meine blutdurchtränkte Kleidung hätte immerhin für unliebsames Aufsehen sorgen können. Doch hatte ich mich gesunder gefühlt als während der letzten Wochen. Der Lebenssaft der Kleinen hatte mir tatsächlich neue Kraft geschenkt.
Nichtsdestotrotz war des Paschas Laune schlecht. Mit Nachdruck hatte er darauf beharrt, mit mir diesen Ausritt ins Gebirge zu unternehmen. In den frühen Morgenstunden machten wir uns auf den Weg. Schmale Pfade führten uns im Schatten uralter Olivenbäume zum Bergdorf Petália. Da Vathek während des gesamten Aufstiegs schwieg und mit grimmigem Blick voranritt, erfuhr ich nichts von seinen Beweggründen, mich zu diesem Ort zu führen. Einmal trafen wir eine alte Frau, die Reisig auf dem Rücken schleppte. Als ich mich nach dem Dorf erkundigte, bekreuzigte sich die Alte nur und ging schnell ihres Weges. Der Pascha indes sah mich wissend an und ritt weiter, ohne ein Wort über die Reaktion der alten Frau zu verlieren.
Am späten Nachmittag erreichten wir dann Petália, das hoch über den grünen Wiesen und Hainen der Insel lag. Wie für korfiotische Dörfer üblich, gab es keinen markanten, großen Dorfplatz wie auf den Inseln der Ägäis, sondern nur zwei kaum merkliche Gassenerweiterungen im unteren Dorf. Ein Gebirgsbach plätscherte durch das Dorf, und hier und da standen Körbe mit verfaultem Obst in den Ecken der Häuser. Der Kadaver einer Ziege lag neben einem der kleinen Ställe. Eine tote Katze fanden wir zwei Gassen weiter. Eine merkwürdige Stille lag über diesem Ort. Seltsamerweise gewahrte ich keine einzige Menschenseele. Es schien, als hätten alle Einwohner diesen Ort verlassen.
Vathek bedeutete mir abzusteigen. Folgsam tat ich wie geheißen. Ich folgte dem Pascha, der unwirsch mit dem Stiefel die hölzerne Tür zu einem der Häuser eintrat, sodass sie beinahe aus den eisernen Angeln gerissen worden wäre. Augenblicklich
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