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Nimmermehr

Nimmermehr

Titel: Nimmermehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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aufgenommen – dort habe sie einen Ghul aus ihm gemacht. Seit jenen Tagen wandere er umher, einer erneuten Begegnung mit der dunklen Schönheit harrend.
    Stattdessen hatte sie mich gefunden.
    Auf die Frage, warum sie mich beinahe getötet hatte, konnte sich selbst Vathek keine Antwort geben. Er machte mir indes deutlich, dass ich es seinem beherzten Eingreifen zu verdanken hatte, noch am Leben zu sein. Was immer ich auch glauben mochte, wurde er nicht müde zu wiederholen, genau das sei es, was ich fühlte: Das Leben. Ich sei lebendig. Voll seiner Kraft, die meinen Körper durchflutet hatte, als ich von dem Blut getrunken hatte. Ekel kam in mir auf, als ich mich an die nächtliche Szene erinnerte. An den Geschmack des dunklen Nass auf meinen Lippen, in meiner Kehle. An das warme, wohlige Gefühl, welches mich durchdrungen hatte.
    Vathek behauptete, ich sei nun ein Wiedergänger. Eine Vardoulacha, wie die Griechen jene unserer Art nennen.
    Eine Harpye. Glaubte man dem Wort Gottes, so soll selbst Adams erste Frau Lilith unserer Gattung angehört haben. Mit einem spöttischen Grinsen verwies Vathek auf den großen Menschenfischer und Aufrührer, jenen arroganten Märtyrer, der in der römischen Provinz angeblich den Tod gefunden hatte und dessen Leichnam aus dem Grab verschwunden war. Selbst die Schreiber berichteten davon, wie er den ihm am nächsten Stehenden von seinem Blut zu kosten gab.
    Denn das Blut ist das Leben. Das ewige Leben. Es nährt uns, gibt uns Kraft, ist die Behüterin vor dem Verfall. Es ist uns natürlich möglich, Nahrung wie jeder andere Mensch aufzunehmen. Doch benötigen wir den warmen Lebenssaft, um nicht zu sterben.
    Verstehen Sie mich richtig, meine geduldigen Zuhörer, es ist keine Krankheit. Kein Übel und auch nicht die Plage irgendeiner Gottheit. Es ist nicht böse. Nicht schlecht. Warum tötet der Wolf? Warum reißt der Löwe die Antilope? Warum zehren Heuschreckenschwärme das Leben ganzer Landstriche auf? Warum sticht die Wespe? Die Antwort ist simpel: weil es ihre Natur ist. Sie verbreiten den Schrecken, weil es ihre Natur ist, sich auf diese Weise zu ernähren. Nicht, weil sie böse oder weil sie schlecht sind.
    Es ist ihre Natur. So lautet die Regel.
    Wir Wiedergänger ernähren uns vom Blut anderer Menschen. Das ist unsere Natur. Wir ernähren den Pöbel, und der Pöbel ernährt uns. Der ewige Kreislauf. So lautet die Regel seit frühester Zeit.
    Wer diese Regel aufgestellt hat? Eine berechtigte Frage!
    Wer stellt die Regeln auf? Wer haucht der Natur den Atem ein? Belebt das Wort Gottes, niedergeschrieben auf Pergament, den toten Lehm? Wen kann man dafür zur Verantwortung ziehen? Wer ist der Schöpfer? Gibt es überhaupt jemanden, der diese Fragen beantworten könnte?
    Vathek glaubte daran.
    Er berichtete mir von den alten Sagen unserer Art. Von der ersten Frau Adams, die, weil von Grund auf böse, aus dem Paradies vertrieben wurde. Später soll jene Lilith der Schlange begegnet sein, und weil gleiches von gleichem angezogen wird, vereinigten sich die beiden und zeugten in einem neun Tage und Nächte andauernden Akt eine Tochter, die so wunderschön anzusehen gewesen war, dass selbst Gott vor Neid erblasst sein soll. Doch fehlte ihr der göttliche Atem. Darum gierte das wunderschöne Mädchen nach dem Atem der Mutter und trank ihren Lebenssaft. Da ihr Hunger aber noch immer nicht gestillt war, tötete sie auch die Schlange, die ihr Vater war. Das Böse, dem bis zu diesem Zeitpunkt in Schlange und Mutter Gestalt verliehen worden war, ging so auf die Tochter über. Nach der Freveltat verließ sie den Ort ihrer Zeugung und wanderte über die Erde, dazu bestimmt, das Blut der Menschen zu trinken, um überdauern zu können.
    Dies ist die Legende. Eine Sage, so wahr wie eine Überlieferung aus alten Tagen nur sein kann. Doch wie in allen Mythen, so ist auch hier ein Funken Wahrheit zu finden. Vathek glaubte, dass die mystische Tochter, deren Schönheit selbst Gott sündige Gedanken auferlegt hatte, die Herrscherin jener Wüstenstadt war.
    Carathis.
    Vathek mutmaßte, dass sie aufgrund ihres unermesslichen Alters über das Wissen verfügen müsste, nach dem es ihn dermaßen dürstete. Zudem war sie diejenige, von der Vathek selbst abstammte. Sie hatte ihm von ihrem Lebenssaft zu trinken gegeben und ihn damit zu einem ihrer Art gemacht. Von ihr erhoffte er sich viele Antworten.
    Und so war er ihrer Spur gefolgt, Hunderte von Jahren hatte er die alte Welt bereist, immer ihrer Fährte

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