Nimmermehr
Bekanntschaft eines ungarischen Mädchens. Der Wiener Hof ließ eine Liste ungarischer Aristokratinnen zusammenstellen, die man für die Position einer Gesellschafterin würdig erachtete. Als mir nach Tagen dann endlich die Liste vorgelegt wurde, befand sich unter den in kalligraphischer Schrift aufgeführten Namen ein weiterer, siebenter Name. Niemand wusste, wer diesen Namen handschriftlich auf die Liste gesetzt hatte. Es war jedoch klar, dass er keineswegs von den Hofstellen ausgewählt worden war. Instinktiv wählte ich diesen siebenten Namen.
So lernte ich die süße dreiundzwanzigjährige Ida Ferenczy kennen, die nicht einmal von Adel war. Sie war eine dunkelhaarige Schönheit von makelloser Gestalt, und es waren ihre Lippen, die mir die lang ersehnten Grüße vom Pascha überbrachten. Wer hätte ahnen können, daß die liebliche Ida Ferenczy ebenso wie Vathek ein Wiedergänger war. Sie wolle mir eine treue Freundin sein, gestand sie schon bald nach unserer ersten Begegnung. Der Graf habe ihr aufgetragen, sich meiner anzunehmen. Auf meine Rückfrage, weswegen sie Vathek als Grafen betitelte, antwortete sie nur mehr mit einem schmunzelnden Lächeln und verwies auf die Dinge, die da noch kommen mochten. Während unserer langen Spaziergänge in Schönbrunn erfuhr ich von Idas Kindheit im kleinen Dorf Kecskemét und ihren vier Schwestern, von der Armut und dem Widerwillen der Magyaren, sich einer fremden Krone unterzuordnen. Vor wenigen Jahren hatte man die ungarische Königskrone wiedergefunden; ein Symbol, welches den Nationalstolz erneut entfacht hatte. Durch die Augen der lieblichen Ida gewahrte ich ein Land, welches ich vorher so nicht gekannt hatte. Die Lehrer am Hofe in Bayern und in Wien hatten mir die ungarische Geschichte ganz im Sinne der österreichischen Rechtfertigung der Okkupation beigebracht. Ida berichtete mir von geheimen Treffen, von bitteren Tränen verletzten Stolzes, von Hungersnöten und der missglückten Revolution, die Österreich so blutig niedergeschlagen hatte. Mit leuchtenden Augen erzählte Ida von den Helden ihres Landes, den Revolutionären Franz Déak und Gyula Andrássy, die erst seit kurzem aus der Verbannung zurückgekehrt waren, weil der Kaiser eine Begnadigung ausgesprochen hatte. Vom Galgen, dem sie nach Paris entflohen waren, errettet, suchten sie wieder nach einem (diesmal politischen) Weg, das ungarische Volk zu befreien. Durch Ida wurde ich auf die ungarische intellektuelle Szene aufmerksam, deren Texte man am Hof verboten hatte. Sie besorgte mir Schriften von Josef Eötvös und Stefan Széchényi, ließ mich die Manuskripte des »Zaszlótarto« verschlingen und machte mich auf den Journalisten Max Falk aufmerksam, der für die Zeitung »Pesti Napló« arbeitete und den ich als neuen Sprachlehrer engagierte.
Um eine lange Geschichte kurz zu machen – Ida gewann mein Herz, für sich selbst und für ihr Land. Mir war, als würden sich meine eigenen Gefühle im Schicksal jenes kleinen trotzigen Landes manifestieren. Wir begannen uns in Idas Sprache zu unterhalten, und da kaum jemand am Hof des Ungarischen mächtig war, verfügten wir gleichsam über eine Geheimsprache. Zudem berichtete mir Ida von ihren ersten Erlebnissen als junge Wiedergängerin. Während ihrer Schilderungen vom ersten nächtlichen Beutezug und der Euphorie beim Kosten des Blutes wurde mir jedoch bewusst, dass sie nicht jene intensiven Gefühle verspürt hatte, die mir einen so großen Genuss bescherten. Auch war sie nie einem Blutrausch erlegen. Ida nährte sich mit bedächtiger Vorsicht. So wie Vathek es ihr aufgetragen hatte. Denn auch sie stammte vom Pascha ab. Vor kaum mehr als fünf Jahren hatte er sie zu einem Wiedergänger gemacht.
Wenn sie von ihm sprach, vom »Grafen«, wie sie ihn mit leuchtenden kindlichen Augen nannte, wurde mir bewusst, dass sie etwas vor mir verheimlichte. Wenn ich sie darauf ansprach, gab sie lediglich zu bedenken, dass der Graf ihr aufgetragen habe, über manches zu schweigen, und dass sie ihm unbedingt Folge zu leisten habe. Erst zwei Jahre später sollte ich erfahren, um welches Geheimnis es sich handelte.
Zwei lange Jahre später – der Kaiser hatte die Militärgerichtsbarkeit in Ungarn aufgehoben und eine Amnestie für Pressevergehen erlassen. Nach wie vor verlangten die Magyaren die Neueinsetzung ihrer alten Verfassung und die Krönung des Kaisers mit der Krone des heiligen Stephan. Gyula Andrássy wurde zum Nachfolger des »Weisen« Déak, und der Kaiser
Weitere Kostenlose Bücher