Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nimmermehr

Nimmermehr

Titel: Nimmermehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
Vom Netzwerk:
es gehe mit mir zu Ende. Zitternd und verängstigt klammerte ich mich an mein Kissen und starrte in die Leere meines Schlafgemachs. Der Mond malte lange Schatten an die Wände, und mir war, als sähe ich inmitten eines dieser Schatten ein paar glühende Augen, die mich fixierten. Ich wollte nach Marie Festetics schreien, doch eine süße Stimme wisperte Verse der Anbetung. Eine Gestalt schälte sich aus den Schatten und trat an mein Bett.
    Ich erkannte jenen Vathek, der sich neben mich auf das Bett setzte und mich mitleidig musterte. Starr vor Angst folgte ich jeder Bewegung Vatheks, der einen krummen Dolch zückte und sich mit einem schnellen Schnitt die Pulsadern öffnete. Mit geschmeidiger Schnelligkeit griff er meinen Kopf und presste sein Handgelenk gegen meinen Mund, sodass sein warmer Lebenssaft mir die Lippen benetzte.
    Ihr werdet leben, flüsterte er und streichelte zärtlich mein langes Haar. Ich schluchzte und würgte, während er mich fest in seinen Armen hielt und beruhigend auf mich einredete: Habt keine Angst. Ich spürte Kälte und sank in eine tiefe Bewusstlosigkeit.
     
    Erwacht, die Sonnenstrahlen des neuen Tages im Gesicht und den Duft der Kräuter aus dem kleinen Garten in der Nase, hielt ich jene fiebrigen Bilder natürlich für die eines Traumes. Verwunderlich war nur, wie ausgesprochen gut ich mich an alles erinnern konnte. Das Gesicht jener nächtlichen Gestalt, jenes Vathek, stand mir so deutlich vor Augen, als wiederhole sich in meinem Geiste die Begegnung, die ich an den Klippen hatte. Ich erinnerte mich an die kräftige Adlernase mit dem hohen Nasenrücken und den seltsam geschwungenen Nasenflügeln. Er besaß eine hohe, gewölbte Stirn und sehr dichtes Haar, das sich nur an den Schläfen etwas lichtete. Seine Augenbrauen waren buschig und stießen fast über der Nasenwurzel zusammen. Der Mund war, soweit ich ihn unter dem dichten Schnurrbart sehen konnte, scharf geschnitten und zeigte einen teils grausamen, teils spöttischen Ausdruck, der in Mitleid umschwang, als er mir auferlegte, von seinem Blut zu kosten.
    Mich an jene Tage – oder vielmehr: jene Stunden – zu erinnern kommt der Verlorenheit am Scheideweg nahe. Still steht man an der Gabelung des Weges und fragt sich, welche Richtung man einschlagen soll, wohl wissend, dass man sich ins unentdeckte Land begibt. Dabei hatte ich in meinem Leben nie das Gefühl gehabt, eine Wahl zu haben. Es war normal, dass andere Menschen für mich die Entscheidungen fällten, dass ich ein Spielball weitaus größerer Interessen war. Selbst hier, in dieser Welt der dunklen Träume, nahm mich ein Fremder bei der Hand, um mich zu geleiten.
    Denn Vathck kehrte zurück, und dies bereits am nächsten Tag. Er klopfte an die Pforte des Anwesens und bat um Einlass, der ihm, der sich als ein türkischer Pascha vorstellte, gewährt wurde. Man führte ihn zu mir, und verwirrt erkannte ich, dass der Traum kein Hirngespinst gewesen war. Ich blickte in die strengen Augen Vatheks und schmolz dahin, akzeptierte die Dinge, die er mir vortrug, so seltsam und befremdlich sie auch klangen. Vielleicht war es seine Stimme, die mich wie warmes dunkles Holz umfing und selbst in meinen Gedanken wisperte. Vielleicht war es die Aufrichtigkeit, die ich in seinen Augen zu entdecken glaubte. Vielleicht war ich aber auch bloß einfältig. Letzten Endes hatten die Menschen vielleicht recht mit ihrer Behauptung, ich sei eine Verrückte.
    Das wäre immerhin eine plausible Erklärung dafür, dass ich all dies so bereitwillig hinnahm.
    Vathek leistete mir im Salon der Villa Gesellschaft und verkündete ohne Umschweife, dass er sich auf einer Suche befände – einer Suche, die ihn schon seit langer Zeit voller Unrast umherstreifen ließ, um diejenige zu finden, der er einst inmitten eines Sandsturmes begegnet sei. Er beschrieb sie als einer Göttin gleich, so liebreizend und doch so grausam. Schnell erkannte ich in seinen Beschreibungen die Frau, die ich insgeheim als Scheherazade bezeichnet hatte. Jene Traumgestalt, die ungekannte Gefühle der Wollust in mir hatte entstehen lassen. Ihr Name sei Carathis, sagte Vathek. Sie sei in den alten Zeiten eine Herrscherin gewesen, Gebieterin eines Volkes jenseits des Sinai, eines Wüstenstammes, dessen Versteck sich inmitten eines dunklen Gebirges befände. Während einer beschwerlichen Reise in seiner Jugend sei Vathek auf ihr Versteck gestoßen, eine Festung, die er ehrfürchtig flüsternd Ghulchissar nannte. Dort habe Carathis ihn

Weitere Kostenlose Bücher