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Nimmermehr

Nimmermehr

Titel: Nimmermehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Gesellschaft in Wien machte auch er mir Vorschriften. Das Gefühl, die Fäden des eigenen Schicksals von fremden Händen ziehen zu lassen, war unerträglich. Die aufgestaute Wut der letzten Jahre, die sich eigentlich gegen den Kaiser und seine grässliche Mutter und Graf Grünne und wie sie alle hießen hätte richten müssen, entlud sich in der kleinen Hütte in dem verfluchten korfiotischen Dorf.
    Ich schrie und beschuldigte den Pascha, mich ins Verderben zu stürzen. Mein Toben ängstigte die Kreaturen, die sich noch weiter in die Dunkelheit des Hauses zurückzogen. Vathek indes nahm mich rasch in die Arme, während ich in Tränen ausbrach. Er flüsterte beruhigend auf mich ein und streichelte mein Haar. Überrascht bemerkte ich, dass er in meinem Bewusstsein flüsterte. Es war, als bewege sich ein wunderschöner Vers im eigenen Verstand, als würde die Seele umarmt, fast schon zärtlich und vertraut.
    Nach einiger Zeit beruhigte ich mich, und wir verließen die Behausung. Die Pferde blickten ängstlich umher, spürten zweifelsohne die Gegenwart der Kreaturen. Wir stiegen schnell auf und verließen Petália in der Gewissheit, dass diese Kreaturen bald sterben würden.
    Am Abend schlief ich unruhig. Die Bilder hatten sich in meinem Kopf festgesetzt. Ich hatte in den Abgrund geblickt, und während die Schatten der Olivenbäume an der Decke des Schlafgemachs tanzten, begann ich langsam zu akzeptieren, dass ich selbst nun ein Teil dieser neuen Welt geworden war.
     
    Vathek verschwand schon bald darauf. Er hinterließ eine Nachricht in der Villa, in welcher er versprach, mich in Kürze wiederzusehen. Seltsamerweise dürstete es mich in den folgenden Wochen nicht nach dem Blut anderer Menschen. In meiner Umgebung nahm man den verbesserten Gesundheitszustand der Kaiserin freudig zur Kenntnis, und als ich meinen Gatten in Venedig traf, fand auch er mich besser aussehend. Ich freute mich, Gisela und Rudolf erneut in die Arme schließen zu können. Ansonsten spürte ich wieder einmal die alten Zwänge. Die Last der Repräsentation. Überall bemerkte man in Venedig die gereizte Stimmung gegen Österreich. Nachdem ich den Kaiser auf dem Markusplatz getroffen hatte, mied die Bevölkerung diesen Ort. Glücklicherweise benutzte der Kaiser seinen Aufenthalt eher zu Truppeninspektionen und Paraden (zu denen er zu meinem Leidwesen oft den kleinen Rudolf mitnahm), sodass ich mich nicht genötigt sah, meine Zeit mit ihm zu verbringen; der Gedanke, den ehelichen Akt mit ihm ausführen zu müssen, erfüllte mich nur mehr mit tiefem Abscheu. Stattdessen bekämpfte ich die Langeweile mit dem Kartenspiel und dem Sammeln von Fotografien schöner Frauen. Seit der Begegnung mit Carathis zogen mich graziöse Frauenkörper an. Ich betrachtete die Formen, genoss die makellosen Gesichtszüge, liebte die Vorstellung, jene weiche Haut berühren zu können. Ich genoss diese Schönheit um ihrer selbst willen. Selbst nach meiner Rückkehr ins verhasste, kalte Wien frönte ich weiterhin dieser Tätigkeit, ließ mir von österreichischen Diplomaten aus allen Teilen Europas Fotografien von schönen Frauen senden.
    Doch war mir während all dieser Beschäftigungen klar, dass ich nur mein Leben zu vergessen versuchte. Erst einmal nach Wien zurückgekehrt, schienen die Ereignisse von Korfu immer unwirklicher zu werden. Das unstete Leben entsprach meiner Rastlosigkeit. Bald musste ich zur Kur nach Bad Kissingen, da Dr. Fischer eine Krankheit der blutbereitenden Organe Milz und Lymphdrüsen diagnostiziert hatte. Danach flüchtete ich für kurze Zeit nach Possenhofen, um letzten Endes doch nach Wien zurückkehren zu müssen. Dort wartete der beischlafbereite Kaiser, der zur Sicherung der Thronfolge einen weiteren Sohn zu zeugen gedachte. Ich fügte mich in mein Schicksal und lebte in dieser dreckigen Baustelle, in die Wien sich verwandelt hatte. Mehrere Male stahl ich mich im Schutze der Dunkelheit davon, streifte unerkannt durch die engen Gassen Wiens und nährte mich von einsamen Passanten. Streng befolgte ich dabei die mir vom Pascha auferlegte Regel und tötete jedes meiner Opfer augenblicklich, nachdem mein Hunger gestillt war. Ich genoss jene nächtlichen Ausflüge, das Zittern und Aufbäumen der Beute, bevor ihr Körper schlaff und leblos zu Boden sank. Immer öfter harrte ich jenes Rausches, den das warme Blut des Pöbels heraufbeschwor. Vom Pascha indes erreichte mich keine Nachricht.
    Dann jedoch, drei Jahre nach Korfu, machte ich die

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