Nimmerzwerg
kaum mehr als ein Anzeichen fortgeschrittenen Weißschieferwahnsinns gewesen wäre, plötzlich zu einer wahrhaftigen Möglichkeit.
Es kribbelte Schwartzbarth in den Augenbrauen.
Inzwischen dachte er nicht einmal mehr an Schlaf. Er blätterte, lernte und rauchte. Dann wartete er die nächste friedfertige Phase seines innerlich zerrissenen steinernen Lehrers ab, um weiterzublättern, zu lernen und zu rauchen.
Der Einzige, von dem er sich gelegentlich stören ließ, war der Neue an Bord: Bragk Nattergriff. Nachdem sich nämlich Thorf Glimmspan nach Verlust seines letzten halben Ohrs jaulend zu den Trollen zurückgezogen hatte und noch immer nicht wieder aufgetaucht war, hatte Nattergriff seinen Posten übernommen. Inzwischen war der Dieb zu Schwartzbarths Vertrautem und Leibwächter geworden. Er war es, der Schwartzbarth sein Bier brachte und ihm seine nächste Pfeife stopfte und anreichte, wenn die vorangegangene erloschen war.
Aus unerfindlichen Gründen vertraute der Kapitän dem Dieb. Das mochte an der Nähe ihrer Professionen liegen. Denn wem, wenn nicht einem Dieb sollte ein Pirat vertrauen können? Jedenfalls vertraute er ihm so weit, dass er ihn sogar in seiner Gegenwart duldete, wenn der Stein zu ihm sprach.
Und das, was dem Halbohrigen so übel aufgestoßen war, nämlich, dass sich sein Kapitän in seiner Kabine einschloss und mit einem Stein redete, anstatt Flammsteinfischer zu fangen, irgendjemanden auszupeitschen oder gar endlich die Siedlungen der Entzwergten zu überfallen, erschien Nattergriff alles andere als sinnlos.
Für einen Dieb nämlich kam das Wissen in der Wertigkeit gleich nach der Beute. Wissen, wo, wissen, wie, wissen, was. Und wenn das Wissen dieses Steins der Schlüssel zu noch größerem Wissen war, dann war es klug, auf ihn zu hören.
Heimlich lauschte darum auch Nattergriff den Worten des Steins…
Im spärlichen Schein der Talglampe waren Blechboldt und die anderen eine Zeit lang gebeugt im Dunkel des niedrigen Ganges vorangeschritten. Allmählich wurde der Basaltstaub um sie herum weniger, nach und nach verhallten hinter ihnen sogar die Hammerschläge aus den Tiefen der Trollmine.
Und dann sahen sie plötzlich ein rötliches Licht am Ende des Ganges. Mit einem mulmigen Gefühl gingen sie darauf zu, darauf vertrauend, dass der Zwerg im Trollstollen die Wahrheit gesagt hatte. Wer einmal von Magmapiraten verschleppt und an Trolle verkauft worden war, der tat sich allerdings etwas schwer mit dem Vertrauen. Es sei denn, er war bloß noch auf einen heldenhaften Tod aus oder blöde bis in die Bartwurzeln.
Deshalb war ihnen allen, abgesehen vielleicht von Glimmboldt, etwas seltsam zumute, als das Ende des Ganges immer näher kam und das Licht mit jedem Schritt heller wurde.
Kurz bevor sie den Ausgang des Stollens erreicht hatten, erschien darin plötzlich ein Helm mit zwei neugierig blinzelnden Augen darunter und ein bauschiger Bart, der gewiss gute dreihundert Jahre zum Wachsen gebraucht hatte.
Blechboldt atmete erleichtert auf, klopfte Fazzgadt auf die Schulter und flüsterte Flammrank zu, was er sah: kein ledernes Kopftuch und kein nacktes Kinn. Ein Zwerg, ganz im Sinne der Götter! Mitsamt Bart und Helm!
Besagter Zwerg blinzelte verwundert in den Gang hinein, in Richtung des flackernden Lichtes. Schließlich traf sein Blick den des Ferkelbändigers, ein Ausdruck ungläubigen Staunens trat auf sein Gesicht, und dann erschien ein breites, zufriedenes Lächeln unter seinem Bart. Der Zwerg wandte sich ab, und die Gefährten vernahmen seine jubelnde Stimme: „Sie sind es, sie sind es wahrhaftig! Er hat recht gehabt! Es beginnt, es beginnt!“
Sie wurden also tatsächlich erwartet. Irgendjemand hatte gewusst, dass sie kommen würden.
Fazzgadt war froh, dass in diesem Moment zumindest nicht der Hohepriester bei ihnen war, um diese Tatsache wie üblich zu kommentieren. Seufzend gedachte er der Tage, in denen er noch irgendwo hatte hingehen können, ohne dass irgendjemand es vorausgesehen hatte. Als er noch mit dem Hammer im Gang gestanden und getan hatte, was nötig war. Damals, als sein Leben noch nicht mit dem des Schicksalszwergs verwoben oder Teil der Prophezeiung einer tollwütigen Rüsselratte gewesen war.
Es war seltsam. Alle außer ihm selbst schienen bereits vorher zu wissen, was er tun würde und wohin es ihn über kurz oder lang verschlagen würde.
Inzwischen schien jeder ihn zu kennen. Selbst die, die ihn noch nie gesehen hatten. Und während die einen ihn
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