Nimmerzwerg

töten wollten, glaubten die anderen, dass er sie retten würde. Beides war für seinen Geschmack zu viel Aufmerksamkeit. Aber sein Leben schien auf ewig mit dem des Schicksalszwergs verbunden zu sein. Nachdem er einmal Teil der Prophezeiung geworden war, schien es keinen Ausweg mehr zu geben…
    Sie näherten sich dem Ende des Ganges, und Fazzgadt fragte sich, wie man ihre Ankunft wohl vorausgesehen hatte. Wahrscheinlich hatte ein wirrbärtiger Schamane, trunken von Aberglauben, die Innereien einer Jademade oder die Knoten im Bart eines Tausendjährigen beschaut, etwas Schattenknorpel geraucht und sich dazu noch ein Fässchen Vielbier hinter den Helm gekippt.
    Allerdings blieb ihm keine Zeit mehr, sich weiter darüber Gedanken zu machen. Denn gleich darauf traten sie in eine hell erleuchtete Höhle hinaus, wo sie sich von einigen bewaffneten Zwergen mit schweren Äxten umgeben fanden, die den Ausgang des niedrigen Tunnels flankierten. Zur Erleichterung der Flüchtlinge waren auch sie bebartet und behelmt.
    An was für einen Ort es sie auch verschlagen haben mochte, es schien zumindest eine Gegend, in der Zwerge sich wie Zwerge zu benehmen wussten. Und davon hatten sie in der jüngeren Vergangenheit verdammt wenig gehabt…
    Das rötliche Licht, welches das Innere der Höhle erfüllte, hatte etwas Sonderbares an sich. Fazzgadt erkannte auf den ersten Blick, woran das lag. Das Licht rührte von lautlosen, feuerlosen Fackeln her, wie keiner von ihnen sie je zuvor gesehen hatte. Misstrauisch musterte er die Bewaffneten, die ihn ihrerseits nicht minder misstrauisch beäugten. Abgesehen von den Axtträgern waren da noch einige andere Zwerge, die staunend und mit offenen Bärten zusahen, wie die vier halb nackten Gefährten aus dem Inneren des Ganges kletterten. Sie schienen es kaum glauben zu können, kamen vorsichtig näher, streckten die Hände nach den Neuankömmlingen aus und wollten sie berühren. Die größte Aufmerksamkeit wurde dabei wieder einmal Glimmboldt zuteil, dessen Kinn am meisten bestaunt wurde. Bevor die Zwerge aber zu aufdringlich werden konnten, fuhren die Bewaffneten dazwischen, drängten sie fort und nahmen um die Gefährten herum Aufstellung.
    Währenddessen musterte Fazzgadt die fremden Zwerge genauer. Irgendetwas an ihnen kam ihm seltsam vor. Und dann begriff er, was es war: Die Bewaffneten trugen allesamt keine Stammeszeichen. Dafür jedoch Rüstungen und Helme, die auf den ersten Blick jenen glichen, die auch im Imperium Verwendung fanden. Auf den zweiten aber erinnerten sie nur noch entfernt an die klassischen Formen der Garderüstungen. Stattdessen wirkten die Rüstungsteile beinahe wie der verzweifelte Versuch, die Traditionen des Imperiums selbst hier unten, im Reich der Entzwergten, noch zu bewahren. Aber womöglich wirkte dieser Versuch auch nur deshalb so verzweifelt, weil Fazzgadt und die anderen vor wenigen Schichten noch die echten Rüstungen gesehen hatten. Sie kannten das Imperium. Die meisten Zwerge auf dieser Seite des Vergessens hatten es jedoch seit vielen Hundert Jahren nicht mehr gesehen. In der sentimentalen bierseligen Erinnerung eines Zwergs pflegten die Dinge aufzuweichen, sich zu verändern. Wahrscheinlich würden sogar die Gefährten des Schicksalszwergs selbst schon bald einiges vergessen haben. Wobei auf die Erinnerungen an den Trollmarkt oder den Bauch der Sturmgluth ohnehin keiner von ihnen gesteigerten Wert legte.
    Abgesehen von den Rüstungen waren da auch noch die Bärte der Zwerge. Sie trugen alle die gleiche komplizierte Flechtfrisur, die im Imperium allenfalls vor ein paar Hundert Jahren als schick gegolten hatte. Selbst ihre Äxte schienen einer längst vergessenen Mode entsprechend geschmiedet zu sein.
    Es sah aus, als versuchten diese Entzwergten mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln den Geist einer Welt zu bewahren, die sie einst ihres Zwergentums beraubt und in die Verbannung geschickt hatte. Eine seltsame Haltung, wenn man bedachte, wie nachtragend Zwerge gewöhnlich zu sein pflegten.
    So aber fanden sich die Mitglieder des Schicksalszwergs nunmehr in einer Welt wieder, die ein älteres Abbild jener zu sein schien, die sie gerade verlassen hatten. Doch was immer diese Welt auch sein mochte, sie war allenfalls ein Zerrbild des Imperiums, welches sie gerade hinter sich gelassen hatten. Und dasselbe würde auch für ihre Bewohner und Gebräuche gelten, die kaum mehr als schlechte und verzweifelte Kopien des wahrhaftigen Lebens der Zwerge sein