Nimue Alban 10 - Der Verrat
die verdeckten Operationen der Inquisition durchzuführen. Es ging nicht um das Sammeln von Informationen, nicht um Beschattungen, sondern um aktive, besser: offensive Operationen. Ziel war es, Gottes und Mutter Kirche Feinde zu identifizieren, zu entlarven und zu vernichten. Dabei konnte Airnhart in jeder Weise vorgehen, die ihm erforderlich schien, um dieses Ziel zu erreichen. Genau das war Airnhart auch sehr recht. Schließlich schrieb der Erzengel Schueler schon im ersten Kapitel seines Buches: ›Extremismus im Dienste der Gottesfurcht kann niemals Sünde sein.‹ Cahnyr war nicht überzeugt davon, dass Airnhart sich überhaupt je die Mühe gemacht hatte, auch den Rest des Buches Schueler zu studieren.
»Das wussten Sie wirklich nicht, Eure Eminenz? «, fragte Pahrsahn leise nach.
»Das mit Airnhart? « Cahnyr schürzte die Lippen, atmete dann tief durch und zuckte mit den Schultern. »Ich weiß, wer er ist. Wir … haben ihn auch im Auge behalten. Aber ich wusste nicht, dass Bischof-Vollstrecker Baikyr derart eng mit ihm zusammenarbeitet. Oder umgekehrt, ganz wie man es sehen will. «
»Um ganz ehrlich zu sein, weiß ich nicht genau, inwi e weit der Bischof-Vollstrecker tatsächlich in das Ganze i n volviert ist «, erwiderte Madame Pahrsahn. »Ich weiß, dass Pahtkovair seine Hände im Spiel hat – ach was: die Arme bis zu den Ellenbogen! Und Airnhart geht ihm dabei nach Krä f ten zur Hand. Aber ich weiß, wo die beiden sind. Also kann ich sie im Auge behalten, und «, nun wurden Tonfall und Blick grimmig, »wenn es nötig ist, kann ich die beiden auch jederzeit in die Finger bekommen. Ich weiß, dass Sie derlei Dinge gar nicht gern hören, Eure Eminenz! Aber leider bin ich eine glühende Verfechterin der alten Weisheit: Die Er z engel helfen dem, der sich selbst zu helfen weiß. «
Sie blickte Cahnyr an. Der Erzbischof von Gletscherherz nickte. Sie hatte recht: Er wollte derlei wirklich nicht hören. Aber es gab nun einmal einen Unterschied zwischen dem, was er hören wollte, und dem, was er wissen musste.
»Was mich am meisten an Pater Lharees Bericht beunruhigt «, fuhr Pahrsahn fort, »ist das, was Bruder Stahn über Laiyan Bahzkai zu sagen hatte. Allmählich wird dieser Kerl lästig, Eure Eminenz. Bis heute hatte ich angenommen, er sei einer von diesen ›spontan‹ agierenden Frömmlern. «
»Was meinen Sie damit? «
»Bahzkai ist ein … interessanter Bursche, Eure Eminenz. Er gehört zu den Tempelgetreuen, aber er ist Leveller. Im Laufe der letzten Monate wurde er immer aktiver. Er ist viel öffentlicher aufgetreten und hat sich lautstärker geäußert. Und er neigt immer mehr dem gewalttätigen Flügel dieser Bewegung zu, seit Clyntahn das Embargo über charisian i sche Handelswaren verhängt hat. «
Cahnyrs Kiefermuskeln arbeiteten. Bahzkais Namen hatte er zwar nie zuvor gehört, aber mit den Levellers war er deu t lich vertrauter, als ihm lieb sein konnte. Deren Auffassungen hatten auch für ihn durchaus etwas Anziehendes, zumindest drei Viertel davon. Allerdings glaubte er nicht, der Kapit a lismus gehöre mit der Wurzel ausgerottet, auch wenn das derzeit bestehende System für gewaltige Ungleichheit und Ungerechtigkeit sorgte – vor allem in den Tempel-Landen, in denen ranghohe Geistliche dank ihrer privilegierten Pos i tion, der Korruption und Vetternwirtschaft wegen schwi n delerregende Reichtümer anhäuften und ihrer Konkurrenz noch die letzte Mark abpressten. Aus genau diesem Grund hatte die Leveller - Bewegung ihren Anfang in den Tempel-Landen genommen. Viele Reformisten waren den Haupta r gumenten der Levellers zumindest ansatzweise zugänglich.
Mittlerweile jedoch waren die Levellers in der Republik Siddarmark aktiver als in allen anderen Reichen. Das lag einfach daran, dass es hier deutlich toleranter zuging als in den meisten anderen Festlandsreichen. Soweit Cahnyr wus s te, fanden sich in Charis praktisch überhaupt keine Anhänger dieser Bewegung. Aber da die Charisianer im Allgemeinen Anhänger des freien Handels und der Möglichkeit waren, aus eigener Kraft die eigene Lage zu verbessern, war das wohl auch kaum überraschend. Die Charisianer schätzen den Kapitalismus – sehr sogar! Deswegen hatten sie kein sonde r liches Interesse daran, Leuten zuzuhören, die genau diese Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung in Bausch und Bogen verdammten.
Vielleicht war es Ironie des Schicksals, dass sich diese Bewegung vor allem in dem Reich besonderer Beliebtheit erfreute, in dem die
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