Nimue Alban 10 - Der Verrat
Ungerechtigkeit, gegen die die Levellers sich aussprach, am wenigsten deutlich ausgeprägt war. Aber das bedeutete nicht, dass die zivile Obrigkeit der Republik von den Levellers begeistert gewesen wäre. Cahnyr aber sah die Ansicht der Levellers, jeder Mensch sei ein Kind Gottes und habe daher die gleichen Rechte wie sein Mitmensch, als in der Heiligen Schrift verankert an. Die Mehrheit der Leve l lers wollten darüber hinaus ja auch ihre Positionen friedlich vertreten. Natürlich konnten Streiks und Arbeitsniederlegu n gen nur allzu leicht in Gewalttaten ausarten, vor allem an Orten wie den Tempel-Landen und einigen der Randstaaten zwischen den Tempel-Landen und der Republik. Und Gott allein wusste, was Levellers widerfahren würde, die es im Kaiserreich Harchong mit derart zivilem Ungehorsam ve r suchten!
Doch die Zahl der Levellers, die sich für eine … aktivere Haltung aussprachen, stieg stetig an. Pahrsahn hatte diese Leute gerade als den › gewalttätigen Flügel der Bewegung ‹ bezeichnet, und mit Recht. Sie wollten es nicht mehr bei friedlichem Protest und bloßen Forderungen nach der A b schaffung jener Missstände bewenden lassen. Niemand, so meinten sie, würde sie jemals ernst nehmen, solange sie dem Rest der Welt nicht deutlich zeigten, dass sie es sehr wohl ernst meinten. Und dazu sei nun einmal Gewalt erforderlich. Cahnyrs Ansicht nach hatten diese Männer völlig den Ve r stand verloren, wenn sie tatsächlich glaubten, sie könnten die Gesellschaft verändern und zu echter Gleichheit führen, i n dem sie alle umbrachten, die anderer Meinung waren als sie selbst. Aber da der Rest der Welt ja sowieso wahnsinnig g e worden schien, konnte man vielleicht sogar verstehen, dass die militanten Levellers hier eine Möglichkeit wähnten, z u mindest einen Teil der von ihnen angestrebten Reformen in die Tat umzusetzen. Aber trotzdem …
»Ein Leveller, der mit der Inquisition unter einer Decke steckt? «, sagte Cahnyr. »Das klingt ja geradezu erfrischend bizarr! «
»Richtig. Eigentlich dürften die beiden sich nicht grün sein «, griff Pahrsahn den Gedanken auf. »Und genau das beunruhigt mich hier so. Bahzkai ist Drucker und verfasst regelmäßig Flugschriften. In den letzten Jahren hat er so e i nige Hetzschriften in Umlauf gebracht. Die Obrigkeit weiß schon seit geraumer Zeit genau, wer er ist und wo man ihn finden kann. Aber so aufrührerisch seine Schriften auch sein mögen, bislang hat er stets sorgsam darauf geachtet, keine s falls zu Gewalttaten aufzurufen. Allerdings haben sich seine Schwerpunkte im letzten Jahr geändert. Um genau zu sein, kurz nach Pahtkovairs Eintreffen hier. Und seitdem ko n zentriert Bahzkai sich mehr und mehr auf die ungerechte, ungleiche Verteilung des Reichtums im Kaiserreich Charis und auf die Ungerechtigkeit der charisianischen Gesellschaft im Allgemeinen. «
»Er hetzt gegen die Charisianer, nicht gegen die Refo r misten? «
»Nun, es ist nicht verwunderlich, einen Leveller gegen Charis eingenommen zu sehen «, gab Pahrsahn zu bedenken. »Wenn es auf der ganzen Welt eine Stadt gibt, die noch w e niger dem Ideal der Leveller entspricht als Tellesberg, dann kann das nur Shang-mi sein – und da schwingt das Pendel ja nun genau in die andere Richtung! «
Unwillkürlich musste Cahnyr auflachen, als Madame Pahrsahn die Entrüstung ins Gesicht geschrieben stand. Im Vergleich zu Shang-mi, der Hauptstadt des Harchong-Reiches, nahm sich selbst Zion w ie eine Brutstätte der R e formen aus.
»Aber in letzter Zeit betont Bahzkai immer und immer wieder, wie verdammt reich der Krieg Charis mache «, fuhr Pahrsahn düster fort. »Ständig redet er davon, wie dem rechtmäßigen Handel in der Siddarmark das Herzblut ausg e saugt würde – wegen des Embargos und der Art und Weise, wie die Handelshäuser es umgingen. Soweit ich das beurte i len kann, hängt er der Theorie an, es gehe nur um Besitzgier, und Charis würde die Besitztümer der Republik aus reiner Habsucht in die eigene Tasche stecken. Dabei braucht das Kaiserreich jede einzelne Mark, um die Flotte zu finanzi e ren, von der das nackte Überleben von ganz Charis abhängt! Bahzkai nennt die Charisianer unanständig wohlhabende Plutokraten, die sich bewusst eine aggressive, militante A u ßenpolitik zu eigen gemacht hätten, um auf diese Weise noch mehr Geld der bedürftigen Reiche einsacken zu kö n nen. Er denkt, wenn Charis nicht so gierig wäre, hätte man diesen Konflikt schon Vorjahren beilegen können. Man
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