Nimue Alban: Der Kriegermönch: Roman (German Edition)
Das Schlimmste, was ich je gesehen habe , dachte er. Doch er wusste, dass er sich damit selbst betrog: Es war nur deswegen das Schlimmste, weil es das erste Mal gewesen war, dass er mit eigenen Augen das Vorgehen der ›Gotteskrieger‹ hatte sehen müssen. Aber es sollte nicht das letzte Mal bleiben. Nach diesen schrecklichen Bildern, die sich ihm ins Gedächtnis eingebrannt hatten, war ihm die Verantwortung für die ganze Region zugefallen. Und das, nachdem er nun gesehen hatte, dass die Armee versagt hatte, wo es ihre Aufgabe gewesen wäre, zu schützen, die Bürger etwa von Cheraltyn.
Ich hätte das auch nicht verhindern können, wenn ich schon vorher das Kommando gehabt hätte und man mich im Vorfeld darüber informiert hätte, was dort geschehen würde , dachte er düster. Auch Colonel Suwail trägt keine Schuld. Wir hatten beide zu viel mit den Meuterern in unseren eigenen Reihen zu tun – mussten herausfinden, was zur Hölle eigentlich los war, von wem wir noch Befehle entgegennehmen durften und von wem nicht. Da konnten wir uns doch nicht auch noch über Hinterhalte Gedanken machen! Und das war noch vor dem Wintereinbruch … bevor die Semaphorentürme ausgefallen sind. Kein Wunder, dass es seitdem immer schlimmer geworden ist.
Mehr als die Hälfte seines 110. Regiments hatte er bei der Meuterei verloren: Die truppeninternen Kämpfe waren entsetzlich gewesen. Ein Drittel der Verluste waren Männer, die ihrem Eid die Treue gehalten hatten, zehn Prozent der Einheit waren einfach desertiert … und der ganze Rest war von ihren eigenen Kameraden umgebracht worden. Damit hatte Mahldyn noch deutlich mehr Glück gehabt als so manch anderer Offizier. Sein aktuelles Regiment besaß fast Sollstärke und bestand ausschließlich aus Berufssoldaten. Gewiss, es war aus dem zusammengestellt, was nach der Revolte von drei Regimentern noch verblieben war. Dazu gehörten auch die Überlebenden von Suwails 93. Pikenierregiment. Auf dem Papier kam er sogar auf eine Mannstärke, die über zwei Regimenter hinausging: Denn er hatte nicht nur die Überreste seines alten 110ten, sondern auch Colonel Vyktyr Mahzyngails 14. Südmark-Miliz-Regiment und die Versorgungskompanie unter seinem Kommando, die er aus allen möglichen Gestalten zusammengestellt hatte. Allerdings hatte er zu viele Pikeniere, zu wenig Armbrustschützen und nur weniger als einhundert Musketiere, die allesamt auch noch mit altmodischen Luntenschlössern ausgestattet waren.
Angesichts des grassierenden Wahnsinns in der Welt war das nicht viel.
Was ist bloß passiert? , fragte er sich, wohl zum tausendsten Mal. Warum kämpfen plötzlich Nachbarn oder Freunde gegeneinander – sogar Familienmitglieder? Woher kommt all dieser Hass?
Vielleicht sollte er lieber andere Fragen stellen. Einige fielen ihm sofort ein: Warum hatten er und die Männer, die aus irgendwelchen Gründen immer noch seine Befehle befolgten, sich nicht von ihrem Eid auf die Republik losgesagt, nachdem der Großinquisitor den Reichsverweser exkommuniziert hatte? Was für ein störrisches, stupides, idealistisches Pflichtgefühl hielt seine Männer und ihn noch auf den Beinen? Warum trugen sie immer noch Uniform? Warum versuchten sie mit aller Macht, die Zivilisten in dieser Region vor denen zu schützen, die doch nur die Anweisungen von Gottes Priestern befolgten?
Auch diese Fragen vermochte Mahldyn nicht zu beantworten. Aber wie auch immer die Antworten aussahen, sie wären ohnehin nicht mehr lange von Bedeutung.
»Also gut«, sagte er schließlich und richtete den Blick wieder auf das vom Hunger ausgezehrte Gesicht des jungen Ahtkyn. »Es wäre natürlich nett gewesen, wenn wir etwas mehr Vorwarnzeit erhalten hätten. Aber das war uns wohl nicht vergönnt. Dann eben nicht! Erstatten Sie Colonel Mahzyngail und Major Fairstock Meldung. In dreißig Minuten möchte ich sämtliche Einheiten marschbereit wissen. Sagen Sie Colonel Mahzyngail, wenn die Zeit nicht reicht, sämtliche Ladungen anzubringen, dann ist es eben so.« Er lächelte schmallippig. »Ich finde, auch wenn denen erst die eine oder andere Granate in die Hand fallen mag, dürfte es letztendlich wohl keinen so großen Unterschied machen.«
»Jawohl, Sir!« Lieutenant Ahtkyn schlug sich zum Salut mit der flachen Hand vor die Brust und eilte dann davon.
Mahldyn blieb noch einige Augenblicke reglos sitzen. Dann seufzte er, wuchtete sich aus seinem Stuhl und griff nach dem Brustpanzer, der am Rüstungsständer hing.
Wenigstens haben
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