Nimue Alban: Kampf um die Siddarmark: Roman (German Edition)
aber doch irgendwie … falsch. Es gab etwas, woran er sich unbedingt erinnern müsste! Irgendetwas, das ihm erklärte, warum er die friedlichen Morgenstunden irgendwie nicht … auf die Kette bekam.
Er schluckte und lächelte. Diese Wendung hatte er zum ersten Mal bei Merlin gehört und hätte eigentlich nachfragen müssen, was das bedeuten sollte. Irgendwann war ihm dann die Bedeutung klar, und er fand das Bild hinter der Wortwahl recht nützlich. Das galt für eine ganze Menge sonderbarer Redewendungen, die Merlin in Gegenwart derjenigen verwendete, die in das Geheimnis des ›Seijin‹ eingeweiht waren. Viele von Merlins Vertrauten, darunter auch er, hatten feststellen müssen, dass sich einige dieser Ausdrücke in die eigene Sprache eingeschlichen hatten. So etwas erfolgte immer stufenweise: Erst hörte man ein Wort oder eine Wendung nur im Kreis von Caylebs und Sharleyans engsten Vertrauten und Ratgebern, und dann sprachen sie sich herum und verbreitete sich immer mehr. Vermutlich ließ sich das gar nicht vermeiden. So lief es doch eigentlich immer. Während er die Hand erneut nach einem Melonenbällchen ausstreckte, ging ihm durch den Kopf, dass er genau darüber gerade mit Rayjhis Yowance gesprochen hatte. Der Erste Ratgeber hatte ihm berichtet …
Plötzlich weiteten sich seine Augen. Nein, das konnte doch nicht stimmen … oder doch? Rayjhis hatte berichtet … aber Rayjhis war doch tot! Er war … er war ums Leben gekommen. Bei … bei einer Explosion? Aber … aber wenn das stimmte, was …?
Die Hand schwebte über den Melonenbällchen, die Finger, die nach einem gegriffen hatten, verkrampften sich. Saft rann ihm zwischen den Fingern hindurch. Erstaunt blickte er auf seine Hand und musste feststellen, dass sie zitterte. Wieder atmete er tief durch, doch dieses Mal nicht genießerisch, sondern entsetzt. Mehr noch, Panik überfiel ihn. Er versuchte, die Gedanken zu ordnen, aber es gelang ihm nicht, sich zu konzentrieren – ganz anders als sonst! Er schaffte es nicht, das Gewirr sich überschlagender Gedanken zu ordnen, konnte die verschiedenen Eindrücke nicht zuordnen, konnte seinen Verstand nicht mit Gewalt dazu bringen, wieder anständig …
»Hallo, Nahrmahn«, sagte eine leise Stimme, und er fuhr herum.
Die hochgewachsene, außergewöhnlich attraktive junge Frau mit schwarzem Haar und einer schlichtweg bizarren schwarzgoldenen Uniform hatte er noch nie im Leben gesehen. Das wusste er genau. Und doch war da etwas in ihren Saphiraugen … Auch diese melodische Altstimme hatte er noch nie gehört, aber sie klang fast wie ein helleres, lieblicheres Echo einer anderen Stimme …
»Merlin?« Nahrmahn hörte selbst, wie verwirrt er klang, und schüttelte den Kopf. »Aber … aber …«
»Ich weiß. Es ist verwirrend«, meinte die junge Frau, die nicht Merlin Athrawes war. Sie trat auf ihn zu und rückte sich den anderen Sessel am Tisch zurecht. Als sie sich setzte, bewegte sie sich mit der gleichen Anmut und Effizienz, die Nahrmahn schon so oft bei Merlin bewundert hatte. Und doch unterschieden sich die Bewegungen in unbeschreiblicher Weise. Merlin war ein Mann … und diese Person hier ohne jeden Zweifel nicht.
»Sie sind … Nimue«, sagte Nahrmahn gedehnt. Sie nickte.
»Zumindest hier.« Sie lächelte. Es war genau das gleiche Lächeln, das er unzählige Male auf Merlins Gesicht gesehen hatte – nur eben ohne Schnurr- und Spitzbart. Und ohne die Narbe auf der Wange. »Leider wurde Merlin nicht in das Interface eingespeist. Ein kleines Versehen.« Ihr Lächeln verwandelte sich in ein schiefes Grinsen. »Ich hatte schlichtweg vergessen, dass Owl sich nicht gerade durch übermäßige Intuition oder Unternehmungsgeist auszeichnet. Trotzdem bin ich davon ausgegangen, er werde die Software entsprechend anpassen. Als ich begriff, dass das nicht geschehen war, blieb mir keine Zeit mehr für Korrekturen.«
»Hier? Interface?« Nahrmahn schüttelte den Kopf. »Ich … ich verstehe nicht, was Sie meinen.« Noch während er es aussprach, hatte er das sonderbare Gefühl, er verstehe sehr wohl … wolle es sich aber nicht eingestehen.
»Ja.« Nimues/Merlins Lächeln verblasste. Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück und blickte ihr Gegenüber an. Der Blick aus bemerkenswert blauen Augen durchbohrte Nahrmahn fast, ein Blick mit einer Intensität, die Nahrmahn beinahe entmutigte. Nimues Nasenflügel bebten, als habe sie gerade tief durchgeatmet, um sich zu wappnen.
»Nahrmahn«, setzte sie an, »ich muss
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