Nimue Alban: Kampf um die Siddarmark: Roman (German Edition)
sogar noch wichtiger als das Überleben des Kaiserreichs Charis. Niemand zweifelte daran, dass der Seijin Charis oder seinen Freunden treu ergeben war. Doch zugleich zweifelte auch niemand daran, dass Merlin Athrawes alles seines Erachtens Notwendige unternehmen würde, um Nimue Albans Auftrag zu erfüllen – welchen Preis er dafür auch zahlen müsste. Dennoch konnte sich Sharleyan nicht daran erinnern, dass Merlin ihnen nicht einmal mitgeteilt hatte, was ihm vorschwebte – nicht, wenn dafür genug Zeit gewesen war.
»Er hat dir überhaupt nichts erzählt?«
»Er hat nur gesagt, er müsse noch einige Botengänge erledigen, und wenn möglich, werde er mir später darüber berichten.«
Cayleb sagte es leichthin. Sharleyan aber erkannte die Sorge sofort, die darunter versteckt war. Cayleb vertraute Merlin. Er war auch nicht wütend auf ihn, weil seine kaiserliche Autorität so sträflich missachtet wurde. Nein, er sorgte sich aus dem gleichen Grund, aus dem sich auch Sharleyan selbst Sorgen machte.
Was hast du vor, Merlin? , fragte sie lautlos in die Nacht hinaus. Wo steckst du? Und was könnte so gefährlich sein, dass du niemandem davon erzählen willst?
Ein Gedanke zuckte ihr durch den Kopf, schon wollte er ihr über die Lippen. Doch dann zögerte sie.
Das kann doch nicht sein! Er würde doch niemals … ganz egal, wie viele Mitglieder der Innere Kreis schon hat!
Sharleyan biss sich auf die Lippe und musste an ein Gespräch zurückdenken, dass sie mit Merlin nach seiner Rückkehr aus Delferahk geführt hatte. Sie wusste noch genau, was er gesagt hatte. Sie erinnerte sich bestens an die Befriedigung in seiner Stimme, als sie darüber gesprochen hatten, wie sehr der Innere Kreis bereits angewachsen war. Als sie darüber nachgedacht hatten, wie viele gebürtige Safeholdianer mittlerweile die Wahrheit kannten … und wie es weitergehen könnte und müsste, sollte ihm etwas zustoßen.
Merlin! , wie ein Stoßgebet sandte sie seinen Namen in die Dunkelheit, Merlin, geh jetzt bitte keine Risiken ein, bloß weil du meinst, wir würden dich jetzt nicht mehr brauchen! Wir brauchen dich immer noch, und das nicht bloß, weil du unser Zauber-Seijin bist! Wir brauchen dich nicht nur als denjenigen, der uns in die Zukunft führt – wir brauchen dich persönlich … weil wir alle dich lieben!
»Na ja«, erwiderte sie ihrem Gemahl nach kurzem Schweigen bemerkenswert gelassen, »er wird uns ja gewiss darüber berichten, sobald er wieder zurück ist.«
.XX.
An Bord eines Aufklärer-Schwebebootes,
über dem Tarot-Kanal
Merlin Athrawes ließ das Schwebeboot zur Seite wegkippen und aktivierte die Zoom-Funktion seiner künstlichen Augen. Dann spähte er durch die transparente Kuppel hindurch auf die Wellen des Tarot-Kanals hinab. Fast vier Meilen unter ihm funkelten sie in einem bizarren Muster.
Merlin sah die Oberfläche von Safehold nicht allzu oft aus dieser Höhe – zumindest nicht bei Tageslicht, wofür es eigentlich gar keinen Grund gab: Der Antrieb des Schwebeboots hinterließ keine Kondensstreifen, und die Tarnsysteme waren darauf ausgelegt, Sensoren zu täuschen, die ungleich leistungsfähiger waren als das menschliche Auge. Außerdem bot auch die Dunkelheit keinerlei Schutz vor der Sorte Sensoren, die Merlin hier auf Safehold vielleicht tatsächlich fürchten musste. Die Sensorengruppen der Plattformen zur kinetischen Bombardierung, die nach wie vor geduldig Safehold umkreisten, interessierte es herzlich wenig, ob nun viele oder wenige Photonen aus dem Bereich des sichtbaren Lichts zur Verfügung standen oder nicht.
Nein, der Hauptgrund dafür, dass Merlin derartige Flüge meist nur bei Nacht unternahm, war schlicht und einfach, dass es für Seijin Merlin äußerst schwierig war, spurlos zu verschwinden, während die anderen wach waren. Natürlich ließ sich das bewerkstelligen – er hatte es ja sogar schon mehrere Male geschafft –, aber eigentlich immer nur in Notsituationen, in denen er keine andere Wahl gehabt hatte. Zum einen beunruhigte Merlin die Möglichkeit, dass ihn jemand suchen könnte. Dieser Jemand würde dann feststellen, dass der geheimnisvolle Seijin aus unerfindlichen Gründen nicht dort war, wo er sich eigentlich hätte befinden müssen. Zum anderen jedoch bestand in den Momenten, in denen Owl das Schwebeboot aussandte, um ihn abzuholen, immer die größte Gefahr, doch entdeckt zu werden. Owls SNARCs und die Sensorsysteme des Schwebeboots waren zwar so leistungsstark, dass es nahezu
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