Nimue Alban: Kampf um die Siddarmark: Roman (German Edition)
gegangen. Wo sie genug Wasser unter dem Kiel hatten, um anlanden zu können, hatten sie Fracht abgesetzt.
Mittlerweile fragten sich viele, wie man in Charis so früh gewusst hatte, dass Hilfsmaßnahmen erforderlich sein würden. Gewiss, die Weitsicht von Cayleb und Sharleyan Ahrmahk war legendär. Aber das Kaiserpaar hatte mit der Organisation dieses gewaltigen Unterfangens tatsächlich schon begonnen, bevor das erste Bittgesuch aus der Siddarmark überhaupt in Charis eingetroffen war – sogar mehrere Fünftage vorher! Die meisten nahmen Maikel Staynairs Erklärung hin – die auch durchaus der Wahrheit entsprach: Charisianische Agenten hätten lange vor dem ersten Schlag des ›Schwerts Schuelers‹ Hinweise auf Clyntahns Absichten gefunden. Für die hartgesottensten Tempelgetreuen gab es natürlich eine viel einfachere Erklärung. Die Inquisition setzte sie in die Welt und verbreitete sie gern: Cayleb und Sharleyan seien nicht nur Gotteslästerer und Ketzer, sondern hätten ihre Seele Shan-wei verkauft. Cayleb habe im Tausch dafür seine dämonischen Helfershelfer erhalten, und die Hexe Sharleyan sei mit der Gabe belohnt worden, die Herzen selbst der gottesfürchtigsten Menschen zu erobern. Wer andere dazu verführen könne, Shan-wei zu Diensten zu sein, könne selbstverständlich auch in die Zukunft blicken.
Damit kamen die Tempelgetreuen der Wahrheit deutlich näher, als Merlin lieb war. Aber die überwiegende Mehrheit der Siddarmarkianer interessierte es nicht, woher Cayleb und Sharleyan von ihrer Notlage wussten. Nein, sie interessierte nur, dass das Haus Ahrmahk, auch ohne darum ersucht worden zu sein, Hilfslieferungen vorbereitet hatte. Dass Charis dies tat, ohne Bedingungen daran zu knüpfen. Denn Charis forderte weder Geld noch den Anschluss der Siddarmark ans Reich. Genau deswegen saß jetzt ein starker Mann in der Kathedrale und weinte, während die Glocken der Hauptstadt die frohe Botschaft verkündeten: In einer Welt, die dem Wahnsinn anheimgefallen war, gab es ein Reich und eine Kirche, die mit Bedürftigen teilten, was sie selbst hatten.
Unbenommen hatte dieses Vorgehen einen realpolitischen Aspekt: Es brachte Charis Dankbarkeit und Wohlwollen eines ganzen Volkes ein. Dennoch war das nicht der Beweggrund für Cayleb und Sharleyan gewesen, die Hilfslieferungen auf den Weg zu bringen. Merlin wusste das. Das Kaiserpaar hätte auch dann die Geleitzüge über die stürmische See von Safehold geschickt, wenn nicht als Belohnung dafür am Ende ein Bündnis mit der Siddarmark stünde.
Für Letzteres aber müssten Stohnar und die Republik den Winter tatsächlich überleben.
»Sicher wird Stohnar der Rohfassung unseres Bündnisvertrags zustimmen, wenn sie bei Dragoner eintrifft«, meinte Staynair nun. »Darin steht nichts, was nicht genau zu seinem Bündnis-Angebot passt. Denn ehrlich gesagt: Ohne uns hat er nicht den Hauch einer Chance, die ›Vierer-Gruppe‹ abzuwehren.«
»Vor allem nicht gegen die Armee, die Rahnyld über die Grenze in die Südmark schickt«, stimmte Cayleb grimmig zu. »Oh, und wir sollten auch nicht die ach so freiwillige kostenlose Überfahrt für desnairianische Truppen vergessen, die Trynair Silkiah abpressen wird.«
»Stimmt.« Merlin nickte und schaute zu, wie drei Kriegsgaleonen Segel setzten. Sie verließen King’s Harbour und steuerten das deutlich dunklere Gewässer der Howell Bay an; dort sollten sie als Zielobjekte für die Artillerie dienen. »Clyntahn und Maigwair sind schlau genug zu wissen, dass sie die Republik rasch erledigen müssen – bevor wir effektiv eingreifen können.«
»Was meint Ihr, wie lange die sich noch Zeit lassen?«, erkundigte sich Cayleb. »Noch einen Monat?«
»Wahrscheinlich, vielleicht aber auch ein bisschen länger.« Nachdenklich runzelte Merlin die Stirn. »Gott sei Dank gibt es in Rahnylds Armee niemanden, der es mit Thirsk aufnehmen könnte! Nichtsdestotrotz organisieren die sich deutlich rascher als wünschenswert. Desnairia dürfte denen mindestens vier oder fünf Fünftage hinterherhängen – es sei denn, die schaffen zur Unterstützung der Dohlaraner eine desnairianische Invasionsstreitmacht über die Salthar-Bucht.«
»Das wird nicht passieren«, widersprach Cayleb. »Rahnyld bringt Mahrys ungefähr so viel Vertrauen entgegen wie Clyntahn mir . Daran würde auch ein direkter Befehl der ›Vierer-Gruppe‹, Mahrys durch sein Königreich zu befördern, nichts ändern. Er wird sich noch mehr Zeit dabei lassen als damals Sharley,
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