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Nixenblut

Nixenblut

Titel: Nixenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Dunmore
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nichts. Dann kümmern sich beide darum, das Boot sicher an Land zu bringen.
    Vielleicht wissen Roger und Gray an einer verborgenen Stelle ihres Bewusstseins sehr genau, was passiert ist. Sie erinnern sich zwar nicht bewusst an den Angriff der Robben, doch hat dieser in ihrer Seele zweifellos ebensolche Spuren zurückgelassen wie an ihren Körpern. Der Gedanke lässt mich schaudern. Vielleicht ist das ein weiterer Grund, warum sie Mum nichts von dem heutigen Zwischenfall erzählen wollen. Sie möchten die Erinnerung daran verdrängen.
    Doch glaube ich nicht, dass man das wirklich kann. Ich glaube, dass alles, was wir erleben, irgendwo in unserem Bewusstsein gespeichert wird. Darum sollte man sich auch nicht zwingen, etwas zu vergessen, auch wenn andere Leute das fordern.
    Die Leute wollen, dass ich Dad vergesse. Sie sagen das zwar nicht so direkt, aber sie meinen es.
    »Das Leben geht weiter, Saph. Du darfst kein Gefangener der Vergangenheit sein. Du musst an die Zukunft denken. «
    Wie ich diese Worte hasse. Das Leben geht weiter . Dad ist nicht Vergangenheit und ich bin auch keine Gefangene. Ich werde nie aufhören, an ihn zu denken oder nach ihm zu suchen. Und ich bin sicher, dass er es weiß. Dad weiß, dass ich ihn nie vergessen und immer nach ihm suchen werde.
Während wir das Boot auf unsere Bucht zusteuern, schaut Roger zurück in Richtung Riff. Jedes Mal wenn er ein Stück der zerklüfteten schwarzen Felsen über dem Wasserspiegel erblickt, runzelt er die Stirn. Gray dreht sich kein einziges Mal um.
    Vor meinen Augen läuft immer wieder derselbe Film ab: Die schmächtigen schwarzen Körper von Roger und Gray, die wie in Zeitlupe durch das aufgepeitschte Wasser taumeln. Sie sinken auf den Meeresgrund, wo sie liegen bleiben und von den Strömungen langsam mit Sand bedeckt werden.
    Doch Roger und Gray sind nicht gestorben. Roger sitzt neben mir und wird bald in unser Haus zurückkehren, um mit Mum Karten zu spielen, ihr zu erzählen, was für eine glänzende Köchin sie sei, und mir schrecklich auf den Wecker fallen.
    Aber vielleicht wird mich seine Gegenwart weniger irritieren als früher. Es gibt Momente, da unterhalte ich mich gern mit ihm.
    Ich kneife meine Augen zusammen, um den Film anzuhalten. Doch ich weiß, dass er wiederkommen wird. Er lauert irgendwo in mir, wie eine beständige Warnung.
    Wir sind uns darüber einig, was wir Mum erzählen wollen. Roger wird sagen, dass er uns in seinem Boot mitgenommen hat, damit wir ihnen beim Tauchen zusehen können. (Mum wird uns bestimmt mit dem Boot kommen sehen, weil sie mit dem Picknick auf uns wartet.) Picknick! Ist es möglich, dass dies immer noch derselbe Tag ist und nur wenige Stunden vergangen sind? Laut Rogers Uhr ist es Viertel vor vier. Indigozeit und menschliche Zeit scheinen sich heute kaum unterschieden zu haben. Ich frage mich,
warum das so ist. Vielleicht, weil Roger und Gray gar nicht in Indigo waren. Sie sind ins Wasser gesprungen, aber nicht bis nach Indigo vorgedrungen. Und auch wir waren offenbar an die menschliche Zeit gebunden, sonst hätten wir sie nicht retten können.
     
    Doch als wir in die Bucht einlaufen, ist von Mum nichts zu sehen. Später hat sie uns erzählt, sie hätte es sich anders überlegt, weil sie so viel zu tragen gehabt hätte und sich nicht sicher war, wann Roger und Gray zurückkommen würden. Da fand sie es besser, das Essen kühl zu halten und das Picknick in unserem Garten vorzubereiten.
    Roger und Gray stimmen ihr lebhaft zu, dass es sich nicht lohne, all die Sachen jetzt noch an den Strand zu schleppen. Mum hat eine Decke ausgebreitet und die Lebensmittel mit Tüchern vor den Fliegen geschützt.
    Doch nachdem sich alle ausgiebig begrüßt haben, wirft sie einen eingehenden Blick auf Roger und Gray. Ihr bleibt nichts verborgen. Sie ist schockiert von dem Kratzer in Grays Gesicht und den vielen blauen Flecken, die immer deutlicher an Armen und Beinen hervortreten.
    »Was ist denn mit euch passiert? Oh Gott, ihr hättet niemals dorthin fahren dürfen. Ich wusste doch, dass etwas passieren würde.«
    Roger legt ihr den Arm um die Schultern. Ich sehe zum ersten Mal, dass er sie berührt.
    »Beruhige dich, Jennie. Es ist alles halb so schlimm. Wir haben nur persönliche Bekanntschaft mit ein paar schroffen Felsen gemacht. Die Strömungen dort sind wirklich noch heftiger, als ich dachte.«
    »Die sind lebensgefährlich!«, ruft Mum. Ihre Stimme
überschlägt sich fast vor Erregung. »Die ganze Küste ist gefährlich.

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