Nixenblut
möglich. »Wir haben uns von der gefährlichen Strömung fern gehalten. Außerdem hatten wir natürlich Glück, dass die See so ruhig war. Unter normalen Umständen wären wir das Risiko auch nie eingegangen, aber wir dachten, ihr hättet einen Unfall gehabt. Wir wissen ja, dass wir gute Schwimmer sind, nicht wahr, Con?«
Conor wirft mir einen Blick zu, der bedeutet: Übertreib es nicht, Saph!
»Als wir das Boot erreichten, sahen wir euch an der Leiter hängen. Obwohl ihr fast bewusstlos wart, habt ihr euch irgendwie an ihr festgeklammert. Wir wussten nicht, was passiert war, aber es sah nach einem schlimmen Unfall aus. Conor hat geschoben und ich gezogen, bis wir euch beide an Bord hatten. Dann haben wir die Rettungsdecken geholt, den Puls kontrolliert und so weiter.«
»Ihr müsst wirklich unglaublich stark sein«, sagt Gray mit seinem australischen Akzent, während er von Conor zu mir und wieder zurückblickt. »Zwei erwachsene Männer die Leiter raufzuziehen, nachdem ihr so lange geschwommen seid. Ihr hättet eine Rettungsmedaille verdient.«
Ich versuche, aus seiner Miene abzulesen, ob er es ironisch meint, aber das tut er nicht. Auch er muss das Unglaubliche für wahr halten, weil es keine Alternative gibt.
»Es war auch ziemlich anstrengend«, entgegne ich bescheiden, »doch wir wussten nun mal, dass wir nicht nachlassen durften, stimmt’s, Con?«
»Ja …«, bestätigt er zögernd. Ich weiß, dass ihm all diese Lügen zuwider sind, zumal ich uns wider besseres Wissen als Helden darstelle.
»Wenn ich mich doch nur erinnern könnte, was beim Tauchen passiert ist«, sagt Gray. »Ich fühle mich so, als wäre ein Känguru auf meinem Bauch auf- und abgesprungen. «
»Wir haben ein Riesenglück gehabt«, sagt Roger. »Doch wie dem auch sei – ihr dürft nie, nie wieder solch ein Risiko eingehen, ihr beiden. Wenn eure Mutter das erführe, würde sie mich teeren und federn.«
Wenn sie es erführe? Will er ihr womöglich gar nichts davon erzählen?
»Wenn ihr das nächste Mal das Gefühl habt, dass etwas nicht stimmt, dann verständigt die Küstenwache. Riskiert nicht euer eigenes Leben …«, fährt Roger fort. Wir kennen den Text zu gut. Er ist auf zahlreichen Hinweisschildern in St Pirans zu lesen. Ich kann mir ein leichtes Lächeln nicht verkneifen. Großer Fehler. Roger sieht mich durchdringend an.
»Wo ist eigentlich euer Fernglas geblieben?«
»Das Fernglas?«
»Ja, das von eurem Vater, durch das ihr uns beobachtet habt.«
»Ach, das Fernglas! Wir …«
»Wir haben es auf den Felsen liegen gelassen«, übernimmt Conor.
»Auf den Felsen?«
»Wir haben es sicherheitshalber oberhalb der Gezeitenlinie hingelegt. Wir finden es bestimmt wieder.«
»Gut«, sagt Roger.
»Doch heute bin ich zu müde, um nach ihm zu suchen«, füge ich rasch hinzu, sollte er vorschlagen, dass wir es nachher noch holen. »Das machen wir morgen, nicht wahr, Conor?«
»In Ordnung«, sagt Roger.
Roger und Gray entscheiden sich letztlich dafür, Mum nicht zu sagen, dass wir den ganzen Weg bis zu ihrem Boot geschwommen sind. Sie scheinen aber nicht mit uns über diese Entscheidung diskutieren zu wollen. Wir könnten ja der Meinung sein, dass sie ihr die Wahrheit schuldig wären. Aber wir teilen ihre Meinung, dass es verrückt wäre, ihr davon zu erzählen. Was für einen Zweck sollte das jetzt noch haben, nachdem alles gut überstanden ist? Sie würde nur monatelang Albträume bekommen aufgrund dessen, was mit Dad passiert ist. Sie hätte nie wieder ein sicheres Gefühl, wenn wir ans Meer gehen.
Roger will nicht, dass sie sich um ihn Sorgen macht. Er kennt Mum gut genug, um zu wissen, dass ihre Angst vor dem Meer eine ernste Angelegenheit ist, die sie immer noch quält. Er will nicht, dass sie jedes Mal in Sorge ist, sobald er mit dem Boot hinausfährt, wie das schon bei Dad der Fall war.
»Eure Mum hat schon genug zu tragen«, sagt er leise. »Und es ist ja noch mal gut gegangen. Wir sind alle wohlauf. Ein bisschen angeschlagen vielleicht, aber es hätte viel, viel schlimmer kommen können.«
Viel schlimmer, als du weißt, denke ich.
»Und was auch immer da draußen passiert sein mag – wahrscheinlich werden wir es nie erfahren –, wir haben es euch zu verdanken, dass wir mit dem Schrecken davongekommen sind«, sagt Roger. »Nicht dass ich euch ermutigen will, noch einmal Kopf und Kragen zu riskieren.«
»Danke nicht uns«, sagt Conor plötzlich. Roger wirft ihm einen fragenden Blick zu, sagt jedoch
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