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Nixenblut

Nixenblut

Titel: Nixenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Dunmore
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feuchten Sand, dem Felsen entgegen, dessen Fuß im Wasser steht. Der Junge lehnt sich über die Kante des Felsens und schaut nach unten.
    »Kannst du zu mir raufklettern?«, fragt er.
    »Natürlich.«
    Aber das ist gar nicht so leicht. Der Felsen hat einen Überhang und ist von glitschigem Tang sowie scharfkantigen Muscheln und Napfschnecken besetzt. Als ein Babykrebs über meine Finger krabbelt, verliere ich fast den Halt.
    Der Junge klettert auch nicht zu mir nach unten, um mir zu helfen, so wie Conor das tun würde. Vielleicht liegt das daran, dass er einen Taucheranzug trägt. Aus meinem Blickwinkel ist das zwar nicht genau zu erkennen, aber es sieht so aus, als habe er einen Taucheranzug bis zur Taille hinuntergezogen.
    Ich greife um einen Felsvorsprung nahe der Spitze und ziehe mich nach oben. Dann sehe ich ihn zum ersten Mal ganz.
    Ich weiche erschrocken zurück und wäre fast hinuntergefallen, wenn der Junge nicht schnell meine Hand gepackt und mich festgehalten hätte.
    »Vorsichtig«, sagt er.
    Er trägt ein Kostüm. Es muss ein Kostüm sein. Er kann doch nicht… oder doch?
    »Du kannst doch nicht…«, sage ich unwillkürlich. »Das ist doch nicht möglich.« Ich starre seine Hand an, die mich immer noch festhält. Menschliche Finger, so wie meine.
Auch Arme, Kopf, Nacken und Kinn wie die eines Menschen. Aber dann …
    »Schlafe ich etwa? Du musst ein Traum sein.«
    Er drückt meine Finger zusammen.
    »Fühlt sich das wirklich genug an? Ich kann dich auch kneifen, wenn du willst.«
    »Nein, nein, schon gut. Aber du kannst doch nicht ein …«
    Ich bringe das Wort nicht heraus. Ein Wort, das es eigentlich nur im Märchen gibt, nicht in der realen Welt. Ich betrachtete die dunkle Rundung, von der ich dachte, sie gehöre zu einem Taucheranzug, und die glatte Stelle, an der die Haut – ganz normale Haut, so wie meine – in etwas anderes übergeht. Aber in was? Es erinnert mich an etwas. Nicht an einen schuppigen Fischschwanz, wie man ihn in Kinderbüchern sieht. Es sieht eher aus wie der Unterleib eines anderen Tieres. Kraftvoll, glänzend und geschmeidig — geschaffen für ein Leben im Wasser, nicht an Land.
    »Ein Seehund«, flüstere ich. Die beiden Teile, die ich erblicke, passen nicht zusammen. Ich sehe einen Jungen wie Conor, mit dunklen, nassen Haaren, braunen Augen und sonnengebräunter Haut. Und ich sehe den geschwungenen Unterleib einer Robbe.
    Er schaut mich so an, als könne er Gedanken lesen. »Robben können nicht reden«, bemerkt er. Seine Zähne sind strahlend weiß und ebenmäßig. Seine Mutter nörgelt bestimmt nicht, er solle mal wieder zum Zahnarzt gehen.
    Warum denke ich eigentlich an den Zahnarzt, wenn ich eine…
    »Du hast gedacht, ich bin Conor, nicht wahr? Mach dir keine Sorgen. Conor ist hier in der Nähe, zusammen mit meiner Schwester.«

    »Deiner Schwester?« Gedanken und Bilder wirbeln durch meinen Kopf. Das Mädchen mit den langen, nassen Haaren. Das Mädchen im Taucheranzug. Seine Schwester.
    »Ich kenne deinen Namen«, fährt er fort. Seine Augen funkeln zufrieden. »Ich weiß alles über dich, Sapphire. Conor hat mir von dir erzählt.«
    »Was?«
    »Willst du nicht meinen erfahren?«
    »Deinen … ?«
    »Meinen Namen«, sagt er.
    »Äh, ja … natürlich.«
    »Mein Name ist Faro«, sagt er mit Würde, als müsste ich schon von ihm gehört haben. Aber ich kann nicht klar denken.
    »Wie kommt es, dass du Englisch sprichst?«, platzt es aus mir heraus. »Ich meine, du bist doch kein …«
    »Kein Engländer?«
    »Nein, äh, kein… Mensch.«
    » Mensch? Wie kommst du denn auf die Idee?«, fragt Faro, als hätte ich ihn beleidigt. »Und woher willst du überhaupt wissen, dass wir Englisch reden? Vielleicht sprechen wir Mer.«
    »Englisch ist die einzige Sprache, die ich kann«, sage ich. »Das weiß ich ganz genau.«
    »Das glaubst du«, entgegnet Faro. »Aber wenn deine Mutter hier wäre, dann würde sie kein Wort von dem verstehen, was wir sagen.«
    »Sie würde uns gar nicht zuhören. Sie wäre viel zu sehr damit beschäftigt, mich auszuschimpfen, weil ich alleine hierher gegangen bin.«
    »Das stimmt«, sagt Faro, als würde er Mum gut kennen.

    »Aber ich dachte … ich meine, haben Meerjungfrauen nicht Fischschwänze? Mit Schuppen? Das habe ich schon öfter auf Bildern gesehen.«
    Faro hebt die Augenbrauen. » Meerjungfrauen? Das ist doch wieder so ein typischer Menschenausdruck. Jungfrauen sind die Mädchen, die auf deine Schule gehen, stimmt’s?«
    »Schon, aber wir

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