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Nixenblut

Nixenblut

Titel: Nixenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Dunmore
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ins Wasser, das so schnell angestiegen ist, dass es weniger als einen Meter unter uns an den Felsen schlägt. Ich blicke zu Faro und sehe, dass er die Augen geschlossen hat. Auch seine Nasenlöcher sind verschlossen, so wie die einer Robbe, bevor sie taucht.
    Mein Griff um sein Handgelenk verstärkt sich, ich schließe meine Augen, beuge mich vor, hole tief Luft und stoße mich vom Felsen ab. Wir tauchen.

Siebtes Kapitel

    W ir tauchen. Ich klammere mich an Faros Handgelenk, weil mir nichts anderes übrig bleibt, aber es fühlt sich nicht mehr nach einem menschlichen Handgelenk an, sondern kalt und glatt, wie der dicke Strang einer Alge. Ich drohe abzurutschen und bohre meine Finger in sein Fleisch. Ich habe solche Angst, dass ich keine Rücksicht darauf nehmen kann, ob ihm das wehtut.
    Ich öffne die Augen. So schnell bin ich in meinem ganzen Leben noch nicht geschwommen. Wir schießen in die Tiefe, während Blasen um uns herumwirbeln. Faros Unterleib treibt uns beide an. Ich habe Salz in der Nase und will niesen, doch unter Wasser kann ich nicht niesen. Das Wasser drückt meinen brennenden Brustkorb zusammen. Um meine Rippen hat sich ein eisernes Band geschlossen.
    Ich kann nicht atmen. Das Wasser lässt mich nicht atmen. Es erstickt mich. Das Eisenband um meinen Brustkorb ist jetzt glühend heiß. Meine Finger kribbeln, Lichtfunken blitzen durch meine Augen. Das Wasser rauscht an mir vorbei, und ich weiß nicht einmal mehr, in welche Richtung wir unterwegs sind. Als würde man beim Surfen von einer Welle davongetragen – doch gibt es diesmal keinen Weg zurück. Ich habe keine Chance, zu husten oder Luft zu holen oder das Salzwasser wieder auszuspucken. Der Druck des Wassers lässt das nicht zu.

    Panische Angst überfällt mich und raubt mir die Sinne.
    Conor! Conor! , schreit es in meinem Kopf, doch niemand kann mich hören, weil ich keine Luft zum Sprechen habe. Meine Augen sind voller Finsternis. Das Band um meine Rippen ist zu einem Feuerreifen geworden. Es tut so weh, dass ich glaube, sterben zu müssen.
    Gedanken flattern durch meinen Kopf wie panische Vögel. Ich werde sterben. Nicht irgendwann in der Zukunft, sondern jetzt. Hier. Ich sehe Mums Gesicht, der Tür zugewandt, auf mich wartend. Sie ruft mich: Sapphy, Sapphy, wo bist du? Komm nach Hause! Ich versuche, zu antworten, mich zu entschuldigen, dass ich mein Versprechen gebrochen habe, will sie um Hilfe bitten, doch mein Mund ist voller Salz und ich bringe kein Wort heraus.
    »Halt dich gut fest« , sagt eine Stimme, dicht an meinem Ohr. »Lass nicht los. Solange du dich an mir festhältst, kann nichts passieren. Bei mir bist du in Sicherheit, Sapphire.«
    Ich öffne meine Augen und sehe Faro neben mir. Wir sind tief hinabgetaucht. Ich halte mich immer noch an seinem Handgelenk fest, als wäre es das Einzige, das mich am Leben hält.
    Ich kann meinen Atem nicht mehr halten. Ich muss ihn entweichen lassen. Und während mein letzter Atem aus meinem Mund strömt, werden die Luftblasen von kleinen, hellen Bildern begleitet: Mum am Bügelbrett, der Gedenkgottesdienst für Dad, der singende Kirchenchor, das Mittsommernachtsfeuer, dessen Flammen in den Himmel schlagen …
    Aus Faros Mund kommen keine Luftblasen. Er dreht sich zu mir um, während seine Haare nach oben fließen. Seine Nasenlöcher sind verschlossen.

    »Lass alles raus!«, sagt er eindringlich. »Bei mir bist du sicher.«
    Er spricht! Faro spricht unter Wasser und ich kann ihn hören.
    »Lass alles raus!«, wiederholt er. »Lass alle Luft raus, Sapphire, oder du wirst ertrinken.«
    Seine Worte brausen in meinen Ohren. Lass alle Luft raus … Luft raus. Wie soll ich ohne Luft atmen? Ich bin ein Mensch. Meine Ohren platzen, mein Brustkorb brennt lichterloh, die Flammen züngeln bereits in meiner Kehle und meinem Gehirn.
    Ich muss Luft holen, ich muss! Doch wir sind so tief unter Wasser, dass ich es unmöglich bis an die Oberfläche schaffe.
    »Lass die Luft raus!«, befiehlt Faro. »Jetzt!«
    Ich habe keine Wahl. Wasser trommelt in meinen Ohren. Lass sie raus oder stirb. Lass sie raus oder stirb.
    Ich lasse sie raus. Mums Gesicht verblasst, als sie entweicht. Alle Bilder in meinem Kopf verblassen und verschwinden, während das Meer in mich eindringt. In meinen Mund, meine Nase, meine Ohren, sogar in meine Augen. Und plötzlich macht mir das nichts mehr aus. Das Meer ist in mir und ich bin im Meer. Das erdrückende Band um meinen Brustkorb löst sich. Das Brennen lässt nach. Das Dunkel weicht

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