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Nixenblut

Nixenblut

Titel: Nixenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Dunmore
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nennen sie nicht mehr Jungfrauen. Das war früher einmal, im viktorianischen Zeitalter oder bei den Tudors.«
    »Und warum glaubst du, wir Meerwesen seien so altmodisch ?«, fragt Faro mit spöttischer Betonung des letzten Worts.
    Natürlich seid ihr altmodisch, möchte ich sagen. Ihr sitzt mit euren goldenen Kämmen und Spiegeln auf den Felsen und singt tagaus, tagein und kämmt eure Haare und wartet auf vorbeifahrende Seeleute, die ihr ins Meer locken wollt. So verhält man sich doch nicht im 21. Jahrhundert, oder?
    »Du irrst dich in zweifacher Hinsicht«, sagt Faro mit zufriedenem Schnurren. »Zum einen bin ich männlich, nicht weiblich. Wie könnte ich also eine Meerjungfrau sein? Das ist rein anatomisch unmöglich. Zum anderen ist dieses Meerjungfrauengeschwätz mit Spiegeln und Kämmen und dem ganzen Zeug eine Erfindung der Menschen . Das hat mit unserem wahren Leben nichts zu tun.«
    »Wie nennt ihr euch selbst?«, frage ich neugierig.
    Faros Augen werden dunkel. Sein Lächeln ist verflogen. »Das kann ich dir nicht sagen«, antwortet er. »Über so etwas reden wir nicht mit Luftwesen. Aber du kannst uns Mer nennen. Dieses Wort benutzen wir, wenn wir an Land reden. Mer, Moar, Mor, Mare … all diese Wörter sind in Ordnung«,
fügt er hinzu und zuckt die Schultern, als würde ihn das Thema langweilen.
    Die Sonne kommt immer stärker zum Vorschein und vertreibt den Nebel. Alles ist wieder klar. Und auch Faro ist so klar und deutlich zu erkennen wie die Form des Felsens. Ich werfe einen verstohlenen Blick auf seinen Unterleib. Ich will ihn nicht so direkt anstarren. Je mehr der Nebel weicht, desto trockener wird sein Schwanz. Vielleicht sollte er ihn mal kurz ins Wasser tauchen. Sandflecken kleben an seiner Haut.
    Faro bemerkt meinen Blick und hebt erneut die Brauen. Ich spüre, wie ich erröte.
    »Meinst du etwa, dass wir Mer sprechen?«, frage ich rasch. Ich lausche dem Klang der Wörter, die aus meinem Mund kommen, und höre keinen Unterschied. Ihr Klang scheint mir so zu sein wie immer.
    »Nicht so ganz«, antwortet er, »aber ein bisschen Mer hast du schon in dir. Das muss so sein, sonst wärst du gar nicht hier. Wenn wir reines Mer sprechen würden, dann könntest du auch verstehen, was sie sagt.« Faro deutet nach oben zu einer Möwe, die schreiend über uns hinwegfliegt.
    »Was sagt sie?«
    »Denk einfach an alle Flüche, die du kennst, aber in doppelter Stärke.«
    Ich starre zur Möwe hinauf. Sie neigt elegant ihre Flügel und starrt mit ihren kalten gelben Augen zurück. Dann öffnet sie ihren Schnabel und stößt weitere Schreie aus.
    »Die mögen nicht, wenn sie von Leuten beobachtet werden«, sagt Faro.
    »Kannst du mit ihr reden?«
    »Bei ihrer Laune wäre das Zeitverschwendung. Es gefällt ihr nicht, dass ich mit dir spreche.«

    »Warum nicht?«
    »Möwen sind eben so. Sie fühlen sich sicherer, wenn sie unter sich sind. Das Auftauchen von Menschen betrachten sie als schlechtes Zeichen.«
    »Oh.«
    Faro beobachtet, wie eine kleine Spinnenkrabbe ein Tangbüschel erklimmt.
    »Verstehst du, was sie sagt?«, fragt er.
    »Nein.«
    »Du könntest es verstehen, wenn du nicht an Land wärst.«
    »Aber wir können nur an Land leben.«
    »Das ist reines Luftdenken«, entgegnet Faro. »Hör der Möwe zu. Hör ihr aufmerksam zu.«
    Ich strenge mich an, doch ich kann beim besten Willen nichts anderes hören als den vertrauten Schrei einer Silbermöwe, die in diesem Moment zum Sturzflug ansetzt, den Wasserspiegel streift und danach wieder aufsteigt.
    »Du hast Conor gesucht«, sagt Faro nach einer Weile.
    »Ja … ja, das stimmt«, entgegne ich langsam und bemerke erst jetzt, dass ich Conor völlig vergessen hatte, nachdem ich Faro begegnet war. Wie ist das möglich?
    »Wie gesagt, er ist mit meiner Schwester unterwegs. Es geht ihm gut.«
    »Aber wo sind sie?«
    Faro verlagert sein Gewicht. Außerhalb des Wassers sieht sein Unterleib immer noch stark und geschmeidig, aber auch etwas plump aus. Er stützt sich auf seine Arme und zieht sich ein Stück nach vorne, um über die Kante des Felsens blicken zu können.
    »Sie sind im Wasser«, sagt er, »irgendwo hier unten.«

    Ich schaue ebenfalls nach unten und kann den Sand nicht mehr erkennen. Die Flut ist schon zu sehr gestiegen und umspült unseren Felsen. Wie konnte das Wasser nur so schnell steigen, ohne dass ich es bemerkt habe?
    »Wie ist das Wasser so schnell gestiegen?«, wiederhole ich laut.
    »Ist doch nur die Flut«, erwidert Faro gleichmütig. »Die

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