Nixenblut
dachte, sie hätte freie Bahn, also hat sie zu ihm gesagt: Liebster Roger, komm mit mir in mein wunderschönes Haus. Meine schrecklichen Kinder sind nicht zu Hause.
»Verlierst du nicht deinen Job, wenn du einfach nach Hause gehst, wann es dir passt?«, frage ich sie.
»Saph!«, ermahnt mich Conor mit seiner typischen Hütedeine-Zunge-Stimme, doch ich beachte ihn nicht.
»Also, wo ist Roger?«, frage ich.
»Okay«, sagt Mum und lässt das Messer mit einem Knall auf den Tisch fallen. »Jetzt reicht’s! Ich habe die Schnauze endgültig voll. Du gönnst mir überhaupt kein eigenes Leben, stimmt’s, Sapphire? Solange ich die ganze Zeit arbeite und ihr tun und lassen könnt, was ihr wollt, seid ihr zufrieden. Doch wenn ich ein einziges Mal ausgehen möchte oder euch einen Freund vorstelle … oh, nein, das kommt nicht infrage! Hör zu, ich habe Neuigkeiten für dich, kleine Lady …«
Sag es nicht, Mum, flehe ich stumm. Sag jetzt nicht, dass du ihn heiraten willst.
»Ich werde dir mal was erzählen!« Mum fuchtelt hektisch mit den Armen. »Ich habe ein eigenes Leben, ein ganz klein wenig jedenfalls, und dieses eine Mal werde ich etwas allein unternehmen. Ich weiß zwar, dass das deine Lieblingschips sind, aber heute kriegst du sie nicht und Conor muss auch auf die Kirschen verzichten. Ich mache ein Picknick und das geht NIEMANDEN VON EUCH ETWAS AN!«, schreit sie, während sie mir ihren Finger fast ins Gesicht stößt. Erschrocken springe ich zurück. Der Sandwichturm wackelt und fängt an, zur Seite zu rutschen. Conor streckt blitzschnell
seine Arme aus, aber er kommt zu spät. Hühnchen-und Tomatenfüllung spritzen über den Boden.
Ich bücke mich, um Mum zu helfen, doch sie schreit: »Lass das! Niemand wird ein Sandwich essen, das auf diesem Boden lag. Schau dir an, wie schmutzig er ist, Sapphire. Ich habe dich hundertmal gebeten, ihn sauber zu machen.«
Ehe ich richtig darüber nachdenke, entgegne ich: »Hätten wir einen Hund, dann brauchten wir die Sandwiches nicht wegzuwerfen.« Mum haut mit der Faust auf den Tisch.
»Geh raus, Saph, geh einfach nach draußen!«, sagt Conor eindringlich. Doch ich kann nicht. Ich finde nicht einmal die Tür, so heftig werde ich plötzlich von einem Weinkrampf geschüttelt.
»Oh, Sapphy!« Im nächsten Moment schlingt Mum ihre Arme um mich, und ich spüre, dass sie auch zu weinen anfängt. »Warum tust du das nur? Warum machst du uns allen das Leben so schwer?«
»Das tue ich doch gar nicht! Du bist es, die …«
»Ihr seid beide gleich«, sagt Conor kategorisch, »da braucht ihr euch gegenseitig nichts vorzuwerfen.«
Mum streicht meine verfilzten Haare zurück und nimmt mein Gesicht in beide Hände, sodass ich gezwungen bin, ihr in die Augen zu sehen.
»Hör zu, Sapphy, ich hatte nicht vor zurückzukommen, deshalb habe ich euch nichts erzählt. Doch vorhin, als wir gerade die Mittagstische deckten, kam Roger zur Tür herein und sagte, er wolle heute seinen ersten Tauchgang machen.« Ich höre Mums Stimme an, dass sie mich besänftigen will. »Das Wetter ist heute perfekt dafür. Rogers Tauchpartner war auch dabei, er heißt Gray. Sie wollen erst mal die Gegend bei den Bawns erkunden. Roger sagte, er hätte Alissa
bereits gefragt, ob sie ihre Schicht mit mir tauscht, und sie hatte nichts dagegen. Dafür übernehme ich morgen Alissas Schicht, obwohl ich eigentlich freihabe.«
Falls Mum glaubt, dass ich mir irgendwelche Sorgen um ihre Schichten mache, dann hat sie sich geschnitten. »Aber du bist doch noch nie unten bei der Bucht gewesen. Du hasst das Meer.«
Ich habe das Gefühl, dass Mum uns alle betrügt. Sie hat sich total verändert. Dad wollte immer, dass sie mit ihm hinunter zum Wasser geht, aber sie hat sich stets geweigert. Auch das Boot hat sie immer gemieden – aber jetzt, da es Roger gibt, kann sie sich auf einmal nichts Schöneres vorstellen als ein Picknick am Meer.
»Du willst doch nicht allen Ernstes hinunter zur Bucht gehen?«, frage ich ungläubig.
»Doch, das will ich«, antwortet sie. »Seit so vielen Jahren habe ich es schon nicht mehr getan. Es ist höchste Zeit, meinem Leben eine neue Richtung zu geben.«
»Jetzt sag bloß noch, dass du mit Roger und Gray ins Boot steigen willst.«
»Nein, dazu kann ich mich so schnell nicht überwinden. Aber vielleicht wird auch das eines Tages möglich sein. Roger wird mir dabei helfen.«
»Roger!«, sage ich und versuche, meine geballte Abneigung in das Wort zu legen.
»Du solltest ihm nicht so
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