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Nixenblut

Nixenblut

Titel: Nixenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Dunmore
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etwas sagen. Deshalb fliegt sie immer so dicht an mir vorbei. Da kommt sie wieder.
    »Ich kann dich nicht verstehen!«, schreie ich nach oben. »Versuche es bitte so zu sagen, dass ich weiß, was du meinst.«
    Die Möwe bombardiert mich erneut mit ihren Schreien, doch für mich ist es nur ohrenbetäubender Lärm.
    »Bitte!«, rufe ich. »Bitte versuch es noch einmal. Ich weiß, dass du mir etwas Wichtiges sagen willst.«
    Dann geschieht es plötzlich. Ich durchbreche die Haut meiner eigenen Sprache und bin plötzlich von ganz anderen
Lauten umgeben. Das Durcheinander der wilden Schreie formt sich zu Silben und Wörtern. Die Möwe hält inne und schwebt jetzt über uns. Sie schlägt wütend mit den Flügeln und fährt ihre Krallen aus, um die Balance zu halten. Ihre kalten gelben Augen fixieren mich.
    »Nach Indigo, nach Indigo! Schnell!«
    Sie breitet ihre Flügel aus und fliegt für einen Moment direkt über der Wasseroberfläche, aufs Meer hinaus.
    »Irgendwas muss sie wahnsinnig irritiert haben«, sagt Conor. »Wäre es nicht toll, wenn wir die Sprache der Vögel verstehen könnten?«
    »Sie will, dass wir uns sofort nach Indigo aufmachen.«
    Conor starrt mich an. »Das hast du dir jetzt gerade ausgedacht. «
    »Du weißt, dass das nicht wahr ist. Sieh mich an. Lüge ich?«
    Conor mustert mich eingehend. Schließlich sagt er widerwillig: »Nein, aber vielleicht bist du verrückt geworden.«
    »Die Möwe sagte: ›Nach Indigo, schnell!‹«
    »Na toll, wie sollen wir denn allein nach Indigo kommen?«
    »Ich glaube, wir können das. Es ist bestimmt nicht schwieriger, als die Sprache der Möwen zu verstehen. Wenn wir nur wollen, dann können wir es auch. Und sobald wir in Indigo sind, können wir zu den Bawns schwimmen. Die Strömungen werden uns nichts anhaben. Du kannst nicht ertrinken, wenn du in Indigo bist.«
    » Du konntest die Möwe verstehen, Saph. Für mich waren das nur unverständliche Schreie. Und in Indigo habe ich mich die ganze Zeit an Elviras Handgelenk festgehalten.«
    »Du meinst, dass ich mich vielleicht allein in Indigo aufhalten kannt, du aber nicht?«

    Conors Augen blitzen ärgerlich. »Du glaubst doch wohl nicht, dass ich tatenlos zusehe, während du dich in Gefahr begibst, Saph. Wenn du gehst, dann komme ich mit.«
    Alles hat sich total verändert. Conor war immer derjenige, der alles eher und besser konnte. Fahrrad fahren, reiten, schwimmen, surfen. Er war der Erste, den Dad im Boot mitgenommen hat, und der Erste, der bis auf die Spitze der Felsen geklettert ist. Immer hat er mich abgehängt, bis er irgendwann zu mir zurückkam, um mir zu helfen. Und jetzt ist es das erste Mal, dass mir etwas leichter fällt als ihm.
    Granny Carne hat gesagt, dass die Erbanlagen bei Bruder und Schwester unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. Sie hat von der Macht des Merbluts gesprochen. Ich hoffe, es ist stark genug für uns beide. Wenn Conor mich nach Indigo begleitet, dann muss ich dafür sorgen, dass ihm nichts passiert.
    »Wir gehen zusammen«, sage ich. »Wir halten uns gegenseitig am Handgelenk fest, so wie wir es bei Faro und Elvira gemacht haben. Dann sind wir sicher.«
    »Red keinen Stuss, Sapphire. Wie sollen wir auf diese Art denn tauchen? Du brauchst mir nichts vorzumachen. Ich bin es, der sich an dir festhalten muss. Du kannst ganz alleine atmen. Das hast du mir doch erzählt.«
    »Zu zweit sind wir stärker als allein«, entgegne ich. Das hat Mum uns immer gesagt, wenn sie wollte, dass wir zusammenbleiben. Ich weiß, wie schwer das für Conor sein muss. Er ist mein großer Bruder und ich bin seine kleine Schwester. Doch jetzt muss er sich ganz auf mich verlassen. Ich werde uns beide mit nach Indigo nehmen und uns auch beide wieder wohlbehalten zurückbringen. Ich glaube, dass ich das kann. Ich bin mir fast sicher, dass ich es kann. Doch
ist »fast sicher« gut genug, wenn Conors Leben von mir abhängt ? Es muss gehen. Wir haben keine Wahl.
    »Ja, zu zweit sind wir stärker als allein«, wiederholt Conor. »Und wenn du mich ertrinken lässt, dann sag ich’s Mum.«
    Unser Lachen lockert für einen Moment die Anspannung. Ich hole tief Luft.
    »Ich glaube, wir sollten …«
    »… keine weitere Zeit verlieren«, ergänzt Conor.
    Wir laufen durch den Sand. Hier ist das Meer, nach dem ich mich gesehnt habe, kühl, durchsichtig und ruhig. Bei Granny Carne habe ich gedacht, sterben zu müssen, wenn ich nicht ganz schnell ans Meer komme.
    Doch jetzt habe ich Angst. Meine Hände sind

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