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Nixenblut

Nixenblut

Titel: Nixenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Dunmore
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»Dass wir die Nachfahren von Annies Baby sind?«
    »Aber natürlich. Das ist doch die einzige Erklärung!«, erwidert Granny Carne schroff. »Doch jetzt genug davon! Ich bin müde.«
    Sie sieht wirklich müde aus. Nicht mehr groß und stark,
sondern leer und grau, als hätten die Farben des Lebens sie verlassen. Sie kauert sich auf ihren Stuhl, schließt die Augen und atmet tief durch. Die Augen sind immer noch geschlossen, doch ihre Stimme gleicht einem monotonen Singsang, als sie sagt: »Die Wahl liegt bei euch. Denn kein Erbe der Welt zwingt euch, es zu akzeptieren. Ihr entscheidet selbst: Salzwasser oder Süßwasser.«
    »Aber wir müssen es wissen«, platze ich vor Ungeduld heraus. »Sie müssen uns mehr erzählen!«
    » Muss ich das? Muss ich das wirklich, Sapphire?« Granny Carnes bernsteinfarbene Augen blitzen mich so streng an, dass ich erröte und zu Boden blicke. Ihr Blick glüht wie der einer Eule, die ihre Beute erblickt. »Geschenke darf man nicht zurückgeben, weißt du das nicht? Schneide jetzt den Kuchen auf, Conor, und öffne die Lüftungsklappe des Ofens. Dieser Kessel ist wirklich zu langsam.«
    Wir wissen, dass sie kein Wort mehr über Mathew Trewhella, die Meerfrau oder Indigo verlieren wird. Ich nehme das Messer und schneide den Kuchen an. Der Duft von Honig und Ingwer lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen.
    Granny Carne spricht nicht mehr, aber sie kann mich nicht vom Nachdenken abhalten. Der Mathew Trewhella in der Geschichte ist nie nach Hause zurückgekehrt. Ist es das, was er wirklich gewollt hat? Oder war es ein spontaner Entschluss, der Meerfrau zu folgen, und er hat nicht erkannt, dass es ihm unmöglich sein würde, jemals alleine zurückzuschwimmen? Was hat er empfunden, als er begriff, dass es kein Zurück mehr gab?
    Es muss furchtbar sein, vor solch einer Wahl zu stehen. Von beiden Seiten wird an dir gezogen, bis es dich förmlich
zerreißt. Annie oder die Meerfrau. Er musste sich zwischen seiner Familie und seiner neuen Liebe entscheiden. Vielleicht war es Annie, die den Bauch der geschnitzten Jungfrau aufgeschlitzt hat. Vielleicht war ihr Hass so groß.
    Muss ich mich auch entscheiden? Die Frage rauscht in meinem Kopf wie das Geräusch der Wellen, die an den Strand schlagen und sich wieder zurückziehen.
    Dad hat einmal gesagt: »Ist es nicht ein wunderbarer Gedanke, Saph, dass die Wellen unser ganzes Leben lang an den Strand schlagen, genau wie die Herzen in unseren Körpern? Es hört nie auf. Und wenn unsere Herzen aufhören zu schlagen, dann werden die Wellen weiter kommen und gehen, wie sie es immer getan haben, bis zum Ende der Welt.«
     
    »Ich glaube, du kannst jetzt aufhören«, sagt Granny Carne. Ich schaue überrascht auf den blauen Teller und bemerke erst jetzt, dass ich schon viel zu viele Stücke geschnitten habe. Der feuchte goldgelbe Honigkuchen ist mit kandierten Ingwerstückchen übersät. Wir erzählen Granny Carne, dass Jacks Mutter uns schon vor einem Jahr gesagt hat, wir könnten Sadie haben, Mum jedoch dagegen sei, weil ein Hund zu viel Arbeit mache.
    »Du bist es vor allem, die Sadie haben will«, sagt Conor zu meiner Überraschung.
    »Du doch auch.«
    »Aber nicht so sehr wie du. Ich mag sie, aber wenn sie zu uns ins Haus käme, dann wäre sie dein Hund.«
    »Würde dich das stören?«
    »Nein, überhaupt nicht. Dann müsste ich mir keine Sorgen mehr um dich machen, wenn du alleine zu Hause bist.«
    »Ich wäre nie mehr allein, wenn ich Sadie hätte.«

    Granny Carne sagt nicht viel. Sie füllt unsere Teetassen und gibt uns noch ein Stück Kuchen. Später erzählt sie uns von einem einäugigen Bullterrier, den sie vor vielen Jahren besessen hat. Nach seinem Tod wollte sie sich keinen Hund mehr anschaffen, weil sie das Gefühl hatte, sie könne ihn nicht ersetzen.
    Ich frage mich im Stillen, wie viele Jahre das her sein mag.
    »Was ist so lustig, Saph?«, fragt Granny Carne.
    »Ach, nichts. Könnte ich noch ein Stück Kuchen haben?«
    Conor hat schon drei Stücke gegessen, ich zwei. Das ist einer der besten Kuchen, die ich je gegessen habe. Er ist locker und feucht und seine Süße schmilzt förmlich auf der Zunge. Ich bin wohlig satt und fühle mich schläfrig, obwohl ich noch stundenlang hier sitzen, Tee trinken und plaudern könnte. Fast hat es den Anschein, Granny Carne sei eine ganz normale alte Dame, die uns von Kindesbeinen an kennt, alles über diese Gegend weiß und für etwaige Besucher jederzeit einen köstlichen Kuchen bereithält.
    Eine

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