Nixenjagd
Irgendjemand hatte ihr Zimmer, ihre Zuflucht, ihren Rückzugsort, den privatesten Ort, den sie besaß, zu einem Objekt seiner Neugier gemacht. Franziska hatte ihre Tante einmal sagen hören, dass sich Opfer von Einbrüchen oft fühlten, als wäre ihr Haus vergewaltigt worden. Ein ähnliches Gefühl beschlich nun Franziska. Wo sollte sie sich von jetzt an noch sicher fühlen? Ehe sie ganz von Panik ergriffen wurde, befahl sie sich, praktisch zu denken. Wenn es ein Einbrecher war, dann hatte er etwas gesucht und womöglich auch gestohlen. Dies galt es zuerst zu klären. Sie prüfte nach, ob in ihrem Zimmer etwas fehlte. Wertvolle Sachen besaß sie nicht, aber vielleicht hatte der Eindringling ein Souvenir mitgenommen. Mit einem unbehaglichen Gefühl in der Magengegend schaute sie in ihre Wäschekommode. Hier schien alles unangetastet. Zumindest war kein Wäschefetischist am Werk gewesen, sagte sie sich mit einem Anflug von Fatalismus. Auch die Goldmünze, ein Erbstück ihrer Großmutter, war noch da. Wie war der Fremde hereingekommen? Das Fenster ihres Zimmers war gekippt, aber es lag im ersten Stock. Mit einer Leiter? Viel zu auffällig. War sonst irgendwo ein Fenster offen? Sie ging prüfend durch das Haus. Die anderen Zimmer schienen unangetastet. Fernseher, Stereoanlage, die Fotoausrüstung und die Asterixhefte-Sammlung ihres Vaters, alles war noch da. Keines der unteren Fenster stand offen, die Kellertür war verschlossen. Der Notschlüssel! Franziska eilte nach draußen und griff in den Buchsbaum. Der Schlüssel war da. Sie sah ihn nachdenklich an. Außer ihrer Familie wusste nur noch Tante Lydia von dem Versteck. Dass Lydia heimlich ihr Zimmer durchsuchte, war nun wirklich völlig undenkbar. Hatte jemand beobachtet, wie einer von ihnen den Schlüssel hier herausgenommen oder deponiert hatte? Aber bei welcher Gelegenheit? Und wer? Oliver vielleicht. Sie überlegte, ob sie den Notschlüssel in seiner Gegenwart benutzt hatte. Nach dem Schwimmbad, das könnte gut sein. Ins Schwimmbad nahm Franziska ihren Schlüsselbund wegen der Diebstahlgefahr nie mit.
Andererseits – wenn sich Franziska das »Versteck« nun betrachtete –, jeder Einbrecher mit ein bisschen Fantasie würde wohl als Erstes die Büsche im Vorgarten untersuchen. Sie sollten sich schleunigst ein originelleres Depot für den Schlüssel ausdenken. Blieb die Frage, wonach der Eindringling gesucht hatte? Und warum so auffällig? Fast schien es, als hätte er gewollt, dass sie es bemerkte. Der Eindringling hat gar nichts gesucht, schlussfolgerte Franziska, sondern jemand legte es darauf an, ihr Furcht einzujagen. Das hatte ja auch geklappt. Und es passte. Es passte zu den E-Mails, der SMS, dem komischen Anruf, der toten Ratte. Vielleicht gehörte der aufgestochene Fahrradreifen von neulich auch zu dieser Serie. Aber warum das alles? Tief in Gedanken ging Franziska wieder nach oben. Der Computer war hochgefahren. Franziska rief ihre E-Mails ab. Fast hatte sie es geahnt: Zork699 hatte Neuigkeiten für sie.
Schlampe, lass deine Dreckfinger von Paul. Sonst passiert was!
Obgleich die Nachricht eine Drohung enthielt, war sie für Franziska weniger erschreckend als die vorangegangenen. Endlich sagte der Unbekannte, was er wollte, und wagte sich damit selbst ein Stück aus der Deckung. Wie sie vermutet hatte, hatten diese Nachrichten was mit Paul zu tun. Paul, der sie behandelte wie Dreck. Auf einmal spürte Franziska nichts anderes mehr als eine unbändige Wut. Und obwohl eine kleine Stimme in ihrem Kopf leise sagte, dass das, was sie jetzt vorhatte, keine gute Idee sei, wurde die Stimme der Vernunft durch die des Jähzorns übertönt: Das lässt du dir nicht gefallen! Franziska drückte auf Antworten und schrieb:
Du kannst mich mal! Ich akzeptiere keine Vorschriften von einem Feigling.
Dass sie vor einer knappen Stunde innerlich mit sich selbst übereingekommen war, das Kapitel Paul von sich aus zu beenden, war in diesem Fall zweitrangig. »Wer immer du bist, du Arsch, du machst mir keine Angst! Und erst recht keine Vorschriften!«, sagte sie laut zu ihrem Bildschirm und klickte wild entschlossen auf das Feld »Senden«. Danach war ihr wohler.
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Zur Kaffeezeit rief Volker Baumann an. Diesmal gab Daniel Rosenkranz den Hörer ohne Kommentare an Petra weiter . »Petra Gerres, Polizeidirektion Hannover! « »Hallo Petra. « »Guten Tag.« Petra vermied die Anrede. Daniel musste ja nich t unbedingt wissen, dass sie sich duzten . »Gibt es Neuigkeiten?«,
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