Nixenjagd
beschloss Franziska, es noch einmal direkt an der Haustür z u versuchen. Nach dem dritten Klingeln wurde die Tür geöffnet . Aber nur einen handbreiten Spalt. Dahinter stand Alexandra . »Hallo. Ist Paul da? « »Nein. « Franziska war überzeugt, dass sie log . »Ich wollte ihm was für den Unterricht vorbeibringen. Außerdem muss ich ihn dringend sprechen. « »Ich sagte doch, er ist nicht da«, beharrte Alexandra nicht ebe n freundlich. »Du kannst die Sachen für ihn dalassen. Ich richt e ihm aus, dass du hier warst. « In diesem Moment erschien Paul hinter seiner Schwester. E r schob sie kommentarlos zur Seite und sie verschwand im Dunkel des Flurs . »Hallo«, sagte Franziska . »Hallo«, sagte Paul. Er trat vor die Tür . »Was gibt’s? « »Ich wollte dir... also erst mal: Es tut mir so leid, wegen de s Artikels. Ich glaube natürlich kein Wort davon. Und die anderen auch nicht. Wir haben heute in der Schule lange darübe r geredet. « »Das kann ich mir vorstellen. « »Nein. Es ist nicht so, wie du denkst. Klar, ein paar Lästermäule r gibt es immer, aber die meisten halten zu dir. Sie finden de n Artikel unmöglich. Das wollte ich dir nur sagen. Am besten, d u kommst so bald wie möglich wieder in die Schule. « »Sagt wer? «
»Äh... niemand.«
Franziska war irritiert. Warum war er so kurz angebunden, beinahe abweisend? Als wäre der Zeitungsartikel ihre Schuld. »Ach, und morgen müssen wir unsere Deutsch-Hausarbeit abgeben. Wenn du nicht zur Schule gehen willst, dann kann ich sie ja für dich mitnehmen. Wenn dir das recht ist.« »Danke, ich regle das schon.« »Gut. Dann belästige ich dich nicht länger«, sagte Franziska eisig. Sie drehte sich um und verließ fluchtartig das Grundstück. Sie verstand die Welt nicht mehr. Sie hatte Paul helfen wollen – und er bat sie nicht einmal ins Haus. »Ciao«, rief ihr Paul hinterher und dann klappte die Haustür auch schon wieder zu. Da die Fenster zur Straße hin gekippt waren, konnte Franziska noch hören, wie seine Mutter fragte: »Wer war das?« »Nur ein Mädchen aus meiner Klasse. Wegen der Deutsch-Hausarbeit«, hörte sie Paul in gleichgültigem Ton antworten. Hastig schloss Franziska ihr Fahrrad auf und fuhr, so schnell sie konnte, los. Da zerriss sie sich beinahe für ihn, verteidigte ihn nach allen Seiten, verkrachte sich wegen ihm sogar mit ihren Eltern – und er? Behandelte sie wie eine, eine... Franziska fiel kein Wort ein für die Demütigung, die sie gerade erlitten hatte.
Franziska war froh, dass noch keiner zu Hause war, als sie zurückkam. So konnte niemand ihre Tränen sehen. Sie hatte keinen Hunger, deshalb ging sie gleich in ihr Zimmer. Sie spürte es sofort: Irgendetwas war anders. Die Bettdecke war auf eine ungewohnte Art zusammengerollt, ihr Kleiderschrank stand weit offen. Franziska war sich einigermaßen sicher, ihn heute Morgen geschlossen zu haben. Der Locher hatte noch nie im Bücherregal gestanden und die Lampe auf dem Schreibtisch war normalerweise so platziert, dass sie den kleinen Brandflecken verdeckte, der vor Jahren durch eine Kerze entstanden war. Jetzt stand die Lampe viel weiter links. Sie öffnete die drei Schubladen. Ihr Adressbuch lag sonst immer in der rechten Schublade – jetzt in der mittleren. Ihre Eltern! Sie mussten in ihren Sachen geschnüffelt haben. Vielleicht hatten sie mehr über Paul und sie herausfinden wollten. Hatten sie erwartet, dass sie darüber Tagebuch führte? Traurig, dass es so weit gekommen war. Bis jetzt hatte man darauf vertrauen können, dass innerhalb dieser Familie niemand in den persönlichen Sachen des anderen schnüffelte. Sie fuhr den Computer hoch. Es war nicht mehr das neueste Modell, deshalb dauerte es fast eine Minute. Zeit, in der Franziska zur Besinnung kam. Wann hätten ihre Eltern eigentlich ihr Zimmer durchsuchen sollen? Sie selbst war heute Morgen die Letzte gewesen, die das Haus verlassen hatte. Die Vorstellung, wie ihr Vater oder ihre Mutter hinter einer Hecke darauf lauerten, dass sie das Haus verließ, um dann zurückzukommen und ihr Zimmer auseinanderzunehmen, war lächerlich. Um ihr nachzuschnüffeln, würden sie bessere Gelegenheiten finden. Und nicht so auffällige Spuren hinterlassen. Franziska spürte auf einmal, wie die Angst herankroch. Es gab nur eine Erklärung: Eine fremde Person war in ihrem Haus, in ihrem Zimmer gewesen. Fremde Hände hatten ihre Sachen berührt, ihre Kleider, ihr Bett, hatten Dinge angefasst und von gewohnten Plätzen entfernt.
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