Nixenjagd
gemacht?« »Nein, im Gegenteil. Sie . . .«, sie unterbrach sich, weil sie sich erinnerte, dass sie nach dem dritten Caipirinha zum Du übergegangen waren, »...du hast nichts falsch gemacht. Es war ein sehr schöner Abend, wirklich. Vielleicht zu schön. Ich muss das erst mal sacken lassen. Ich will nicht in was reinstolpern, was ich noch nicht überblicke.« »Gut«, sagte er freundlich. »Ich werde jetzt nicht jeden Tag anrufen und dich dasselbe fragen. Sag einfach Bescheid, ja?« »Ja.« Danach hatte sie den ganzen Abend gewartet, ob er vielleicht doch noch einmal anrufen würde. Wenn er anruft, sag ich ihm, dass er herkommen soll. Sofort. Aber der Apparat war stumm geblieben. Offenbar war Volker Baumann ein Mann, auf dessen Wort man sich verlassen konnte.
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In ihrem Zimmer bemerkte Franziska, dass sie am ganzen Körper zitterte. Sie war so heftigen Streit mit ihren Eltern nicht gewohnt, und obwohl sie fand, dass sie als Siegerin aus der Auseinandersetzung hervorgegangen war, setzte ihr die schlechte Stimmung doch ziemlich stark zu. Sie stand am Fenster und wartete, bis nacheinander ihr Vater und ihre Mutter das Haus verließen. Dabei versuchte sie dreimal, Paul auf seinem Handy zu erreichen. Er sollte vorgewarnt sein, ehe er womöglich ahnungslos zur Schule ging. Aber Pauls Mobiltelefon klingelte ins Leere und auch die Mailbox meldete sich nicht. Schließlich schickte ihm Franziska eine kurze Warnung vor dem Zeitungsartikel per SMS und per E-Mail. Dann schwang sie sich auf ihr Fahrrad. Vielleicht traf sie Paul noch vor dem Eingang. Paul war nirgends zu sehen. Er war auch nicht im Mathe-Kurs. Er war offenbar nicht zur Schule gekommen. Kein Wunder, dachte Franziska. Erwartungsgemäß war der Artikel natürlich das Thema unter den Schülern. Es gab Witzeleien und Kommentare wie »Serienkiller«, »Killer-Paule« oder »Das Monster vom See«, aber im Großen und Ganzen waren die meisten Schüler der Meinung, dass der Artikel unfair und reißerisch war. Diese Art, mit jemandem umzugehen, dessen Schuld durch nichts bewiesen war, fanden alle unmöglich. In der Pause hielt Franziska Ausschau nach Pauls Schwester Alexandra. Aber sie sah sie nirgends. Offenbar hatte sich die ganze Familie eingeigelt. Es musste furchtbar sein, so verdächtigt und bloßgestellt zu werden. Womöglich lungerten Reporter vor dem Haus herum? »Na, geht’s deinem Liebsten an den Kragen?« Oliver war dicht hinter sie getreten und wisperte die Worte in ihr Ohr. Franziska wandte sich um. Sein hübsches Gesicht wurde von einem hämischen Grinsen entstellt. Sie wollte sich demonstrativ von ihm abwenden, aber er sagte: »Hat er dir eigentlich erzählt, dass er schon mal in der Klapse war?«
Franziska zögerte. »Woher willst du das wissen?« »Connections«, sagte Oliver kryptisch. »Dein lieber Paul ist ein Psycho. Voll durchgeknallt. Und wenn du nicht aufpasst, bist du die nächste.« »Red keinen Scheiß. Sein Vater ist gestorben. Vielleicht hat er deswegen Hilfe gebraucht.« »Glaub, was du willst«, antwortete Oliver und ließ sie stehen, was Franziska ganz besonders wurmte. »Du bist so ein Arsch«, schrie sie ihm über den Pausenhof hinterher. Nach der Pause hatten sie Deutsch. Frau Holze-Stöcklein verwarf ihren ursprünglichen Unterrichtsplan und diskutierte mit den Schülern über den Artikel. »Jeder von uns kann durch Zufall in eine solche Lage geraten. Doch jeder Mensch ist so lange unschuldig, bis seine Schuld bewiesen ist. Und hier gibt es bislang nicht den Hauch eines Beweises. Also helft eurem Klassenkameraden, indem ihr ihn nicht vorverurteilt«, sagte sie am Ende der Stunde. Die Schüler nickten. Die makabren Sprüche waren ihnen ohnehin schon ausgegangen.
Nach der Schule hatte es Franziska nicht eilig, nach Hause zu kommen. Sie beschloss, Paul zu besuchen. Sie wollte sehen, wie es ihm ging, und ihm von der Stimmung unter den Schülern erzählen. Sicher half es ihm, wenn er erfuhr, dass die allermeisten zu ihm hielten. Franziska wusste, wo Paul wohnte. In den Ferien war sie einmal, ganz, ganz schnell, als würde sie etwas Verbotenes tun, durch die Straße gefahren. Es war eine gemischte Gegend, kleine Häuschen aus den Sechzigern, ein paar Wohnblocks und Kleingewerbe. Nicht gerade das attraktivste Wohnviertel. Nun lehnte sie ihr Rad an den Zaun und drückte auf die Klingel a m Gartentor. Im Nachbargarten werkelte eine alte Frau, die si e neugierig beobachtete . Nichts rührte sich. Da das Gartentor nicht abgeschlossen war ,
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