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Titel: nmp06 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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der Kirche erblickte ich das Licht des Boulevards und bahnte mir einen Weg durch die lärmende Menge der Weltbürger. Gleichgültig gegenüber dem antiken Kram, den der unermüdliche Straßenhändler Bernard Palissy von seinem Sockel aus anbietet, schlenderten die Spaziergänger über den breiten Bürgersteig, entlang den Gittern der kleinen Grünanlage.
    Die Luft war von verschiedenen Gerüchen erfüllt. Benzindämpfe und Teergeruch vermischten sich mit dem Duft von hellem Tabak und teurem Parfüm. Ganz wie Montmartre 1926 , minus Chateau Caucasien. Langsam rollten prächtige Limousinen über die Fahrbahn, suchten ohne viel Hoffnung auf Erfolg einen freien Parkplatz. Auf ihrem Blech spiegelte sich das Neonlicht eines bekannten Cafés.
    Zwei Caféterrassen wetteiferten mit entsprechender Promille um das regere Treiben: Die Terrasse des Mabillon, die bis hart an die Fahrbahn reichte, und die der Rhumerie-Martiniquaise, die sich mehr schlecht als recht auf ihrer leicht erhöhten Plattform hielt. Zwischen diesen beiden pupvollen Bistros, die aus allen Nähten platzten, erschien mir die schmale Rue de l’Echaudé wie eine kühle Oase der Ruhe. Auch Alfred Jarry war diese Gasse als Ort der Entleibung lieb und teuer gewesen. Über die Dächer der parkenden Autos winkte mir die bunte Lichterkette des Échaudé zu, der Snackbar von Henri Leduc. Ich nahm Kurs auf das winzige Lokal, das in bester 14 .-Juli-Tradition beleuchtet war.
    In der Bar war kaum eine Menschenseele. Konnte mir nur recht sein angesichts der Hitze und der Absicht, mit der ich gekommen war. Aber keine Sorge. Ich kannte den Laden. In einer oder zwei Stunden würden sie von überall hier antanzen.
    Ich warf einen rechtwinkligen Blick nach links und rechts. Die Örtlichkeit erlaubte keinen Rundblick. Ein filmreifes Paar aß eine Kleinigkeit und erörterte Kleiderfragen. Am Nebentisch löffelte ein Herr mit verzückter Miene und affigem Benehmen ein Gericht, das mir nach Linsen aussah. Sehr würdig, Typ Modejournal, eingebildet wie eine Aspirin, die sich für eine Maxiton hält, dichtes weißes Haar, hageres Poetengesicht, verwüstet von der Inspiration — oder den Sorgen. Die Augen auf das Plakat von 1900 gerichtet, dachte er wohl gerade über sein Erstgeburtsrecht nach.
    An der Theke würfelte Louis, korrekt wie immer in seiner blütenweißen Jacke, mit einem bärtigen Gast. Im Hintergrund dudelte ein unsichtbares Radio leise vor sich hin. Henri mit seinen flinken Äuglein hinter den goldumrandeten Brillengläsern stand an der Kasse und rechnete, ein volles Glas in Reichweite der Hand, die nicht den Bleistift hielt.
    Zusammen mit dem allseits bekannten Pascal, dem geduldigen, freundlichen Kellner des Flore , ist Henri Leduc einer der originellsten und sympathischsten Figuren von Saint-Germain-des-Prés. Er kennt dieses Viertel nicht erst seit gestern. Der ehemalige Sekretär einer avantgardistischen Theatergruppe und Leiter eines Cabarets hat als Schauspieler in mehreren Filmen mitgewirkt. Daneben war er der „erste intellektuelle Barkeeper“. Ohne diese ehrenwerte Gesellschaft ärgern zu wollen, muß man zugeben, daß er sich von dem übrigen Haufen abhob. Nie um eine ironische Antwort verlegen, voll von komischen Geschichten. Hat dermaßen viele Einnahmequellen, daß er beinahe eine Sondersteuer zahlen müßte. War Erster Barkeeper im Club Saint-Germain in der Rue Saint Benoît, nachdem er die Bar Cher Ami eröffnet hatte, die inzwischen Echelle de Jacob heißt. Trotzdem ist er auf dem Teppich geblieben; man kann sagen, Saint-Germain-des-Prés kennt er wie seine Westentasche. Und er ist der Meinung, daß der Ruhm des Viertels nicht so bald vergehen wird. Das hat er einmal einem Gast erklärt, der ihm nicht gefiel. Ja, Monsieur , hat er ihm unter die Nase gerieben, so lange hier in Saint-Germain-des-Prés Rindviecher zum Melken rumlaufen, ist bei uns alles in Butter. Was den Nagel auf den Kopf traf.

    Ich ging zu ihm und unterbrach seine Rechnerei.
    „Salut, Duc“, begrüßte ich ihn.
    Er sah auf, reichte mir die Hand, hieß mich willkommen und fragte, wie’s ging.
    „Gar nicht“, seufzte ich.
    „Und die Leichen, geben die was her? Ich mein zahlenmäßig.“
    „Ich bin seit zwei Monaten über keine einzige gestolpert, wenn ich so sagen darf.“
    Leduc runzelte die Stirn.
    „Schlimm, schlimm. Du solltest einen Arzt aufsuchen.“
    „Am besten einen vom Gericht. Kenn die Antwort im voraus ... Sag mal, kriegst du keinen Durst von deinem blöden

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