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das Faß zum Überlaufen gebracht. Wie und warum — vielleicht konnte ich das im Gespräch erfahren. Auf jeden Fall wurde mir so die Zeit nicht lang. Ich war selbst auch etwas nervös. Und nicht mehr weit davon entfernt, blau zu werden. Was ich an der Theke geschluckt hatte und jetzt hier am Tisch noch draufgoß, dazu diese drückende Hitze und die Arbeit, die heute noch auf mich wartete — all das zeigte bei mir so langsam Wirkung. Ganz schön blöd von mir, ein paar Stunden vor einer kniffligen Aufgabe meinem Hang zum Suff nachzugeben! Ich nahm mir vor, mich mit schwarzem Kaffee wieder in Ordnung zu bringen, bevor ich abhaute. Inzwischen konnte ich ja nett mit meinem Gastgeber plaudern. Gerade wollte er mehr über meine Arbeit wissen.
„Ich hab schon oft von Privatdetektiven gehört“, begann er, „aber ich hatte noch nie Gelegenheit, einen von nahem zu sehen. Für einen Schriftsteller ist das vielleicht unverzeihlich, aber ich kann es nicht leugnen. Wir können schließlich nicht alles wissen und kennen. Worin genau besteht nun eigentlich Ihre Tätigkeit?“
„Vor allem beschatten wir Ehemänner auf Kosten ihrer Frauen und Ehefrauen auf Kosten ihrer Männer“, klärte ich ihn auf. „Manchmal geht es auch weiter. Wenn man mit den Ermittlungen beginnt, weiß man nie, auf welche Abwege einen das führt.“
„Ich verstehe
Sein Gesichtsausdruck wurde mit einem Mal so konzentriert wie die Milch, die die schönsten Säuglinge der Welt hervorbringt.
„...Interessante psychologische Fälle? Sie müssen verstehen, ich bin Schriftsteller...“
„Das Leben ist sicher komplizierter und hält mehr Überraschungen bereit als alles, was Sie in Ihre Bücher packen können“, sagte ich. „Und es ist auch geheimnisvoller. Nicht wahr, hm? Sie haben Ihre Phantasie, Sie ziehen Schlußfolgerungen. Das Leben zieht keine Schlußfolgerungen.“
„Sehr richtig“, stimmte er mir zu.
In diesem Augenblick fiel ein halbes Dutzend Touristen lärmend in das Lokal ein. Ich war gezwungen, näher an den Tisch heranzurücken, damit sie hinter mir Platz nehmen konnten. Ich mußte lachen.
„Was erheitert Sie so?“ fragte mich der Schriftsteller.
„Der Anblick der Amerikaner. Ich dachte gerade, für Saint-Germain-des-Prés hatten Mädchen in Männerhosen dieselbe Wirkung wie Kleopatras Schönheit für die Welt.“
„Aber klar!“ rief er. „Was Sie da sagen, stimmt genau!“
„Nicht wahr? Das hat zwar nicht das Gesicht der Welt verändert, aber immerhin die Atmosphäre in diesem Viertel. War früher eher familiär und kleinbürgerlich. Jetzt kennt man es in den hinterletzten Winkeln des Erdballs. Und das von dem Tag an, als ein junges Mädchen kein Geld hatte, um zum Frisör zu gehen und sich bei Uniprix in der Rue de Rennes einen Rock zu kaufen und sich stattdessen von einem Freund die Hose auslieh.“
Er sah mich lächelnd an.
„Sie sind ein interessanter Gesprächspartner“, stellte er fest. „Sind alle Privatdetektive so?“
Ich lächelte zurück.
„Ich bin in jeder Hinsicht eine Ausnahme.“
„Und wie erklären Sie sich das Höhlenphänomen? Ich meine dieses Bedürfnis der jungen Leute, in Kellern zusammenzukommen, um dort zu diskutieren und Musik zu machen.“
Er wollte mir wohl auf den Zahn fühlen.
Ich erwiderte:
„Sehnsucht nach Bombenalarm oder so was. Mitten in der Nacht in den Keller hinabsteigen, dazu die düsteren Sirenen... war manchmal eine ziemlich günstige Gelegenheit, seine Nachbarin zu befummeln oder Reize bei ihr zu entdecken, die bis dahin ängstlich verborgen geblieben waren. Sie wollen die gute alte Zeit wieder aufleben lassen. Und dann kreuzen die Journalisten auf und lassen sich darüber aus, und hopp! Fertig ist das Viertel mit dem neuen Lebensgefühl.“
Er legte seine feingliedrigen weißen Hände mit den schmalen Fingern und den polierten Nägeln auf den Tisch und machte es sich auf seiner Sitzbank bequem. Sein schneeweißes Haar streichelten die Brüste der Frau auf dem Plakat von Bec Auer, die sie ohne besonderen Grund an die frische Luft hielt.
„Ich bedaure es nicht, das Gespräch mit Ihnen wiederaufgenommen zu haben“, bemerkte er theatralisch. „Sie sind amüsant.
„Und ich werd Ihnen noch was sagen“, fuhr ich fort. „Etwas, worüber ich mir schon seit langem den Kopf zerbreche und was ich nicht einordnen kann. Mein Beruf hilft mir da nur wenig weiter. Vielleicht können Sie die Idee ja in einem Ihrer Bücher verarbeiten.“
Er runzelte die Stirn, plötzlich
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