no_way_out (German Edition)
Herausholen der Schlüssel entglitten war, holte ich mir. Wegen des Messers. Und weil sie alles war, was ich hatte.
Ich öffnete die Wagentür, warf die Tasche auf den Rücksitz und stieg ein. Meine Hände umklammerten das Lenkrad. Aus meinem Mund kamen Geräusche, die ich bis jetzt nur in Horrorfilmen gehört hatte. Es hätte mich nicht überrascht, wenn auf meinen blutverschmierten Händen Haare gewachsen wären und ich im Rückspiegel in die blitzenden Augen eines Werwolfs geschaut hätte.
Aber die Augen, die mir entgegenstarrten, gehörten keinem Werwolf. Es waren die Augen meiner Mutter. Der Boden musste sich nicht öffnen. Er musste mich nicht verschlingen. Die Hölle war hier oben, in diesem Auto, im Rückspiegel. In meinen Augen. Den Augen meiner Mutter. Egal, ob ich den Wagen zum Laufen brachte, ob Jake oder ein aufgebrachter Nachbar mich in der Einfahrt stoppten, oder ob ich mit Edy im Kofferraum bis ans Ende der Welt fuhr: Es gab kein Entkommen. In einem schnellen, unkontrollierten Schlag fegte ich den Rückspiegel weg. Kein Spiegel, keine Augen.
Ich wusste, wie man ein Auto fuhr. Vor ein paar Monaten hatte ich eine Weile auf einem Hof gearbeitet, bei einem schweigsamen Bauern, der mir gezeigt hatte, wie es ging. Es war ziemlich einfach gewesen und ich konnte mich erinnern, dass es Spaß gemacht hatte. Jetzt schien alles furchtbar schwierig. Erst dauerte es ewig, bis ich den Schlüssel im Zündschloss hatte, dann schmierte der Motor ab, dann brachte ich den Gang nicht rein, weil ich vor lauter Panik und vor Schmerz in meinem Bein falsch kuppelte. Als ich endlich Gas gab, schoss der Wagen so heftig nach vorn, dass es meinen Kopf erst vor- und dann zurückschleuderte. Hinten im Kofferraum rumpelte es.
Ich hätte anhalten und Edy freilassen sollen, aber ich tat es nicht. Ich brauchte sie. In meiner furchtbar verqueren, durch Angst und Panik getriebenen Logik brauchte ich sie. Sie war mein Ticket in die Freiheit.
Kurz bevor ich durch die Einfahrt bretterte, glaubte ich, in einem der Zimmer im oberen Stockwerk den Schatten einer Gestalt zu sehen.
Bund für eine tatkräftige Nation @BtN
Die zunehmende Gewaltbereitschaft ist ein Fakt. Jeder Betroffene in diesem Land sollte die Möglichkeit haben, sich zu verteidigen. #stand_your_ground
Das Auto des Bauern war ein Uraltmodell gewesen, eins, das er vor Jahren als Gebrauchtwagen gekauft hatte. Wenn man das Gas mit aller Kraft runterdrückte, brachte man es auf knapp neunzig Kilometer pro Stunde. Jakes Wagen gehörte in eine andere Klasse. Nachdem ich ihn in Gang gebracht hatte, reichte ein sachtes Antippen des Gaspedals und die Nadel auf der Geschwindigkeitsanzeige drehte nach oben. Ich raste aus dem Villenviertel hinaus, vorbei an hell erleuchteten Fenstern, hinter denen Nachbarn standen, die auf die alarmierten Bullen warteten.
Vor der Einfahrt in die Hauptstraße bremste ich viel zu hart ab. Mein Puls raste, in meinem Schädel dröhnte es. Rechts oder links? Ich hatte keine Ahnung, wo ich war und wo ich hinwollte. Einen Augenblick lang saß ich einfach nur da, dann entschied ich mich für rechts. Um nicht aufzufallen, durfte ich weder zu schnell noch zu langsam sein, und ich musste so bald wie möglich weg von der Hauptstraße. Das war das letzte bisschen Logik, das es noch durch den Sturm in meinem Kopf schaffte. Während ich auf die erlaubten achtzig Stundenkilometer beschleunigte und bei der nächstbesten Gelegenheit in eine Nebenstraße steuerte, wurde aus dem Sturm ein unkontrollierbarer Tornado.
Bilder von Jakes toter Lady blitzten durch meinen Kopf. Ich zwang meine Konzentration auf die Straße vor mir. Sie führte durch einen Wald. Nichts und niemand kam mir entgegen. Auf einer längeren Geraden glaubte ich, im Seitenspiegel Lichter eines Wagens zu sehen, und verfluchte mich dafür, den Rückspiegel weggeschlagen zu haben. Ich drehte mich um. Weit hinter mir fuhr ein Auto in die gleiche Richtung wie ich, in meinem Kopf wirbelte der Tornado Gedankensplitter durcheinander. Zufall. Nein. Doch. Nein. Doch. Jakes tote Lady. Bullen. Kein Zufall. Doch. Nein.
»Zufall!«, schrie ich. In meinem Kopf war für eine kurze Weile Ruhe.
Nach dem Waldstück kamen Felder. Dann ein Ortsschild. Der Name sagte mir nichts. Die Lichter waren immer noch hinter mir. Langsam manövrierte ich den Wagen durchs Zentrum und schaute mich nach Wegweisern um. Außer Schulhäusern, Kirchen und Gewerbevierteln war nichts ausgeschildert. Erst kurz vor dem
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