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no_way_out (German Edition)

no_way_out (German Edition)

Titel: no_way_out (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Gabathuler
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Dorfausgang kam ich zu einem Kreisel mit Richtungsschildern zu anderen Ortschaften. Ich fuhr im Kreis herum, bis ich alle Namen gelesen hatte. Einer klang vertraut. Dieser Straße folgte ich.
    Hinter mir polterte es. Vor Schreck verriss ich das Steuer und wäre beinahe im Straßengraben gelandet. Das Poltern hörte auf. Der Tornado im Kopf setzte wieder ein. Tusse. Geisel. Idiot. Geisel! Edy. Scheißidee. Aussteigen lassen. Aufgeben. Knast. Fahren!
    Auf der langen Geraden nach dem Dorf bemerkte ich wieder Lichter hinter mir. Ich versuchte mir einzureden, dass es ein anderer Wagen war als vorhin, dass jemand einfach den gleichen Weg hatte wie ich. Aber ich glaubte meinen eigenen Überzeugungsversuchen nicht. Ich beschleunigte. Der Wagen fiel zurück. Erst vor der nächsten Ortschaft bremste ich ab. Diesmal vorsichtiger. Ich mochte die Tusse im Kofferraum nicht. Aber sie war ein Mensch mit einem Herz und einer Seele, und ich durfte sie nicht sterben lassen. Ihre Mutter war tot. Tot, schrie es in meinem Kopf. Umgebracht. Mörder. Weiße Narbe. Handgelenk. Du weißt, was das bedeutet. Ja. Ja! Mörder. Herz. Seele. Verrottet.
    Auch in diesem Dorf brannten keine Lichter in den Häusern. Es war, als führe ich durch eine Geisterwelt. Einen irren Augenblick lang fragte ich mich, ob mit Jakes Lady auch der Rest der Menschheit gestorben war und die Tusse und ich die einzigen Überlebenden waren. Aber Jakes Lady war mit einem Messer umgebracht worden. Am Ende aller Tage würden kein Gott und kein Sensenmann übers Land gehen und jeden von uns mit einem Messer niedermähen. Keiner von beiden hatte Jakes Lady umgebracht, sondern ich.
    Ich.
    Der Sturm in meinem Kopf fiel in sich zusammen. Das letzte bisschen Verstand, falls ich denn noch welchen hatte, blubberte in einem klebrigen Brei. Aufgeben. Blubb. Dorf. Blubb. Langsam. Blubb. Blubb.
    Ich nahm den Fuß vom Gas. Die Lichter kamen näher. Langsam, blubberte es. Mein Instinkt, der besser zu funktionieren schien, schrie: Gib Gas! Gib Gas, gib Gas, gib Gas! Mein Körper versagte. Meinen Füßen fehlte die Kraft, irgendwelche Pedale zu bedienen. Der Wagen schloss zu uns auf. Die Lichter waren jetzt ganz nah. Ich legte den Kopf auf das Lenkrad und gab auf.
    Nichts geschah. Niemand überholte mich. Keine Wagentüren schlugen. Keine Schritte näherten sich. Ich hob den Kopf und sah Rücklichter, die sich auf einer fast parallelen Nebenstraße von mir entfernten. Bewegungslos blieb ich sitzen. Beinahe wünschte ich mir, Edy würde zu kreischen beginnen, doch sie blieb ruhig, und aus dem Brei in meinem Kopf blubberte eine große Blase, in der das Wort Tot schwebte. Ich knallte meinen Kopf gegen das Steuerrad. Die Blase zerplatzte. Die Uhr am Armaturenbrett stand auf Viertel vor fünf. Nicht mehr lange, und es würde hell werden.
    Die Bullen waren längst bei Jake. Eine Fahndung nach mir lief. Weil ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte, startete ich den Motor und fuhr weiter. Als ich das Dorf hinter mir ließ, folgten mir keine Lichter mehr.
     
    Den nächsten Ort kannte ich, weil Smiley und ich dort ab und zu eingekauft hatten. Ich folgte der Straße und passierte die Busstationen mit den Namen, über die Smiley und ich uns lustig gemacht hatten, bis zur Brücke. Achtzehn Meter. Ich heiße Smiley. Wärst du gesprungen? Willst du ein Bier?
    Smiley! Ich musste zu Smiley! Er würde mir helfen.
    Mit ausgeschalteten Lichtern bog ich ein paar Meter nach der Brücke in den Feldweg ein, der dem Fluss folgte. Mehr oder weniger im Blindflug holperte ich langsam in Richtung Wald. Ganz in der Nähe von Smileys Hütte gab es ein kleines Holzlager, das von der Hauptstraße aus nicht zu sehen war. Dahinter stellte ich den Wagen ab. Es wurde still. Ich wartete vergeblich auf das Hämmern und Kreischen im Kofferraum. Es gab nur mich und die seltsamen Geräusche, die ich machte.
    Ausruhen. Ich wollte ausruhen. Nur einen Moment lang. Den Körper zurück unter Kontrolle bringen und die Schmerzen aus mir hinausatmen. Smiley hatte mir gezeigt, wie das ging. Sein Kopf war so ziemlich der kaputteste Kopf, den ich je gesehen hatte. Um das Durcheinander darin auszuhalten, hatte Smiley eine eigene Methode entwickelt. Man musste mit den Gedanken reden und dabei richtig atmen. Das mit dem Reden funktionierte nur bei Smiley, ich kam mir dabei blöd vor. Deshalb atmete ich einfach langsam und regelmäßig und stellte mir bei jedem Atemzug vor, wie ich einen Teil der Schmerzen aus mir hinausatmete.
    Es half.

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