no_way_out (German Edition)
Meter hoch. Ein Sprung. Aus. Fertig. Stille. Für immer. Ich war zu feige dazu.
Irgendwann raschelte es im Gebüsch und Smiley trat auf die kleine Lichtung. Normalerweise wurde er im Gelände zum geräuschlosen Indianer, aber in jener Nacht machte er so viel Lärm, dass ich ihn früh genug hören konnte. Ich war ihm dankbar dafür, denn meine Nervenenden standen unter Strom und wenn sie vor Schreck zu sehr ins Schwingen gerieten und sich berührten, könnte das einen Kurzschluss auslösen.
»Hab dir meinen Spezialtrank mitgebracht.« Smiley grinste immer noch nicht, obwohl er wusste, wie sehr ich das Gebräu hasste, das angeblich Tote wieder zum Leben erwecken konnte.
Ich protestierte nicht, sondern setzte die Flasche an und leerte sie, ohne einmal abzusetzen. Das Zeug brannte in der Kehle, brachte meinen Magen dazu, sich krampfhaft zusammenzuziehen und löste einen ungeheuren Brechreiz aus. Ich drückte die aufsteigende Flüssigkeit zurück in den Magen, denn wenn ich eins wusste, dann das: Das Zeug half. Aber nur, wenn ich es nicht wieder ausspuckte. Würgend saß ich da und wartete auf die Wirkung. Nach und nach tauchte ich in eine Art geistige und körperliche Nebelwolke.
»Besser?«, fragte Smiley.
»Glaub schon«, antwortete ich.
»Na, was denn? Wird es besser oder glaubst du es nur? Also …«
»Sei einfach still«, bat ich ihn.
Normalerweise reichte so eine Bitte bei Smiley genau drei Sekunden weit. Dann redete er weiter. Er konnte nicht anders. Er war zum Reden geboren. Wenn er keinen fand, der ihm zuhörte, redete er mit sich selbst. Diesmal blieb er ruhig, ein Zeichen dafür, dass mein Zustand ihm gewaltig einfuhr. Ich nahm ein paarmal Anlauf. Wollte ihm die Sache erklären, aber ich hatte keine Ahnung, wo ich anfangen sollte. Hätte ich ihm vom Unfall erzählt, wäre ich gar nie zu Jakes toter Lady gekommen, denn Smiley hätte sich erst furchtbar über Jake aufgeregt und mir dann ungefähr eine Million Ratschläge gegeben, was ich hätte tun sollen. Hätte ich mit Jakes toter Lady begonnen, hätte Smiley mir keine Ratschläge gegeben, sondern mir eine Million Fragen gestellt. Ich war nicht einmal bereit für eine einzige Frage. Ich wollte in meiner Nebelwolke sitzen und weder fühlen noch reden. Aber irgendwie war die Wolke undicht, denn mitten in das dumpfe Nichts drängte sich ein ängstliches »Hallo?«.
Ich schaute Smiley an. Wenn ich seinen erstaunten Gesichtsausdruck richtig deutete, war er es nicht gewesen.
»Hallo?«
Smiley sprang auf und schaute erst den Wagen, dann mich an. »Hast du jemanden im Kofferraum?«
Ich starrte vor mich hin.
»Mick!«, sagte Smiley ziemlich laut. »Sieh mich an!«
Ich zwang meinen Blick nach oben.
Smiley sah angepisst aus. Und besorgt. Und erschrocken. Alles zusammen.
Ich nickte.
»Und der Wagen ist geklaut?«
Was denn sonst? Smiley wusste, dass ich kein Geld hatte und so einen Wagen kriegte man nicht einfach geschenkt. Ich nickte wieder.
»Wer ist da drin?«
»Tusse«, krächzte ich.
»Eine Tusse?«
»Ja. Tusse. Edy.«
Smiley kauerte sich vor mich hin. »Du hast eine Tusse und einen Typen da drin?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Mick? Wer ist das im Kofferraum?«
»Edy«, flüsterte ich. »Sie heißt Edy.«
»Die Tusse heißt wie ein Typ?«, fragte Smiley ungläubig.
»Irre Familie.«
»Scheint auf dich abgefärbt zu haben.« Smiley richtete sich wieder auf. »Ist das ihr Wagen? Hast … Hast …« Er stockte. »Hast du sie vergewaltigt oder so?«
»Nein.«
»Warum ist sie da drin?«
»Geisel.«
»Du hast eine Geisel? In einem gestohlenen Auto?« Smileys Augen quollen beinahe aus ihren Höhlen. Er raufte sich die Haare und begann im Kreis herumzugehen. Als er sich endlich nicht mehr drehte, stand er einfach nur da. »Das ist ziemlich krank, weißt du das?«, fragte er.
Ich nickte.
»Willst du darüber reden?«
Smiley ist therapiegeschädigt. Wegen seines Kopfs. Er hat mir mal erzählt, dass er früher nicht so viel gelabert hat, schon gar nicht in den Therapien, aber irgendwann hat er gemerkt, dass Reden tatsächlich hilft. Ich glaubte nicht daran. Reden machte eine Sache nicht besser. Zwischen all den richtigen Wörtern waren immer eine ganze Menge, die falsch verstanden wurden. Und dann konnte es Ärger geben oder man verletzte jemanden, den man eigentlich mochte, oder irgendetwas war plötzlich anders und man wusste nicht warum, nur, dass es an den richtigen Wörtern lag, die falsch verstanden worden waren. Deshalb redete ich
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