no_way_out (German Edition)
für heute Abend einen Platz zum Schlafen?«
»Ja, danke.«
Sie wusste, dass ich log. Ich sah es ihr an. »Bitte rufen Sie sie nicht an«, sagte ich.
Sie zögerte. »In Ordnung«, sagte sie schließlich. »Ich werde sie von dir grüßen, wenn sie zurück ist. Aber …«
»Danke«, unterbrach ich sie und ging durch die Tür, bevor ich es mir anders überlegen konnte.
Draußen stand ein roter Lieferwagen. Eine Hand legte sich auf meine Schulter. Ich fuhr herum und blickte in das Gesicht eines langhaarigen Typen.
»Kann ich dich mitnehmen?«, fragte er.
»Ja«, antwortete ich, ohne ihn zu fragen, wo er hinfuhr.
»Na, dann steig ein.«
Auf der Fahrt erzählte er mir von dem Übungsraum, den er und seine Kollegen im Untergeschoss der Fabrik einrichteten. Von ihrer Band und dass sie ganz groß rauskommen würden.
»Merk dir unseren Namen«, sagte er und grinste. »Und wenn du dann in den Medien von uns hörst, holst du dir bei uns im Büro eine CD ab. Ist geschenkt, Mann.«
»Wenn du mir jetzt noch den Namen der Band verrätst«, antwortete ich.
»Never forget.« Sein Grinsen war noch breiter als vorher.
Ich brauchte fast einen Kilometer Fahrt, bis ich mich traute, ihm meine Frage zu stellen.
»Wie seid ihr auf den Namen gekommen?«
»War der Tipp einer guten Freundin. Sie meinte, sie kenne jemanden, dem unsere Musik gefallen würde.«
Mein Herz hatte wieder diesen viel zu schnellen Beat drauf. Ich sah Smiley vor mir und konnte sogar seine Stimme hören. Das ist ein Zeichen .
»Schon mal von Smiley gehört?«, fragte ich den Typen.
»Klar.«
»Kennst du die Brücke, bei der er wohnt?«
»Aber sicher. Ist genau achtzehn Meter hoch.«
»Kannst du mich hinfahren?«
»Wieso?« Er lachte. »Willst du noch einmal runterspringen?«
Ich muss ziemlich erschlagen ausgesehen haben, denn er schlug mir die Hand auf die Schulter und grölte: »Mann, das war ein Witz!«
Als wir da waren, wusste er sogar, auf welcher Seite der Brücke er anhalten musste. Bevor er sich von mir verabschiedete, wurde er ziemlich verlegen.
»Zeigst du mir das Tattoo?«, fragte er.
Ich drehte meinen Arm so, dass er es sehen konnte.
»Never forget«, sagte er leise.
»Du schuldest mir eine CD«, erinnerte ich ihn.
»So viele du willst.«
Ich wartete, bis er eingestiegen und weggefahren war. Dann lief ich zur Mitte der Brücke. Achtzehn Meter. Verdammt hoch. Eine Weile lehnte ich am Geländer, schaute in die Tiefe und suchte nach ein paar coolen Sätzen für Smiley. Für Edy hatte ich einen. Schon seit einer ganzen Weile.
Als ich unten am Fluss ankam und die beiden auf Smileys Lieblingsplatz sitzen sah, dort, wo ich mich vor der Geschichte mit Jake verabschiedet hatte, fluteten mich meine Gefühle und schwemmten alle Worte aus mir raus.
Smiley sah mich zuerst. Er sprang auf, kam auf mich zugerannt, breitete seine Arme aus und schenkte mir die heftigste Umarmung, die ich je bekommen hatte. Ich wartete auf einen Redeschwall, aber er blieb aus. Wahrscheinlich war Smiley ungefähr so sehr zugeflutet wie ich. Irgendwann brachte er doch noch ein paar Wörter über die Lippen. »Vermassle es nicht«, flüsterte er mir ins Ohr. Dann ließ er mich los.
Edy stand auf dem Fels. Sie hatte ihre Haare geschnitten und trug Jeans und ein T-Shirt. Sie war wunderschön. Ich ging auf sie zu und versuchte, irgendwo in meinem gefluteten Ich den einen Satz zu finden, den ich ihr in Gedanken so oft gesagt hatte, aber als ich ihn endlich fand, kam er mir so kindisch und idiotisch vor, dass ich verzweifelt nach einem anderen suchte. Ich fand keinen. Es gab nur den einen. Egal, wie blöd er klang.
»Ich habe schwimmen gelernt«, sagte ich.
Als E-Book sind von Alice Gabathuler auch erschienen:
Freerunning
dead.end.com
Matchbox Boy
Gabathuler, Alice:
no_way_out
ISBN 978 3 522 62096 3
Einbandgestaltung: Isabel Thalmann, Buch und Grafik, Zürich
E-Book-Konvertierung: KCS GmbH, Buchholz/Hamburg
© 2013 by Thienemann Verlag
(Thienemann Verlag GmbH), Stuttgart/Wien
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