Noah & Echo - Liebe kennt keine Grenzen
blaue Schleife auf dem Schreibtisch, genau wie letzte Woche, wieder schien sie bei jedem Mal Hinsehen näher zu mir herzurücken. Es kam mir vor, als ob von der Schleife ein unwiderstehlicher Sog ausging. Ich konnte es mir nicht erklären.
»Wie läuft es mit deinem Freund?«, fragte Mrs Collins. Ein weiterer Dienstagnachmittag, eine weitere Therapiestunde.
Ich riss meinen Blick von der Schleife los. Gott sei Dank hatte Luke mich eingeladen, Samstagabend mit ihm und den anderen auszugehen. Eine Lüge weniger. »Ashley hat das falsch verstanden. Ich habe keinen Freund, aber ich gehe am Wochenende mit jemandem aus.«
Ihre Augen leuchteten auf. »Wunderbar. Ist es der Basketballspieler, mit dem ich dich im Flur gesehen habe?«
»Ja.« Super. Eine Therapeutin, die einen beschattete. War das überhaupt legal?
»Erzähl mir von ihm.«
Äh … nein danke. »Ich will nicht über Luke reden.«
»Auch gut«, sagte sie, ohne sich den Wind aus den Segeln nehmen zu lassen. »Dann reden wir über Noah. Er hat mir erzählt, dass ihr euch heute zur ersten Nachhilfestunde trefft.«
Ich blinzelte mehrmals. Blödsinn. Oder doch nicht? Vielleicht hätte ich doch lieber Luke als Gesprächsthema wählen sollen. Noahs Jacke lag immer noch in meinem Schließfach, weil ich mir von Lila und Grace hatte einreden lassen, dass ich sie ihm unmöglich einfach so während des Unterrichts zurückgeben konnte. Die beiden bastelten noch an einem Alternativplan. »Ja. Ja, stimmt.«
»Darf ich dir einen Rat geben?«
Ich zuckte mit den Schultern und gähnte in Erwartung der üblichen »Sag-Nein-zu-Sex-Drogen-&-Alkohol«-Ansprache. »Sicher.«
»Noah ist mehr als fähig, den Unterrichtsstoff zu bewältigen. Er braucht nur einen kleinen Schubs. Lass dir von ihm nichts anderes einreden. Und du, Echo, bist vermutlich die einzige Schülerin an dieser Schule, die ihn in fachlicher Hinsicht fordern kann.«
Was für eine komische Ansprache. Aber von mir aus. »Okay.« Ich hielt mir den Mund zu, weil ich erneut gähnen musste.
»Du siehst müde aus. Wie schläfst du?«
Großartig. Ganze zwei Stunden letzte Nacht. Mein Fuß fing an zu wippen.
»Echo, ist alles in Ordnung? Du siehst blass aus.«
»Alles okay.« Wenn ich es ständig behauptete, vielleicht wurde es dann irgendwann wahr. Und vielleicht konnte ich dann mal wieder eine Nacht lang durchschlafen, ohne andauernd von schrecklichen, bedrückenden, seltsamen Dingen zu träumen, von Sternbildern, Dunkelheit, splitterndem Glas und manchmal auch Blut.
»Dein Vater sagte, dass du die verschriebenen Schlaftabletten nicht nimmst, obwohl du immer noch Albträume hast.«
Jede Nacht. So schaurig, dass ich am liebsten gar nicht einschlafen wollte. So bedrückend, dass ich, wenn ich irgendwann vor Erschöpfung doch einschlief, schreiend aufwachte. Mein Vater und Ashley bewahrten die Schlaftabletten in einem abgesperrten Schränkchen in ihrem Badezimmer auf und gaben mir nur eine, wenn ich darum bat. Eher hätte ich mir ein Auge ausgestochen, als Ashley um etwas zu bitten. »Ich hab doch gesagt, es ist alles okay.«
Bei diesen Worten wanderte mein Blick wieder zu der blauen Schleife. Was war es bloß, was mich so an ihr faszinierte?
»Die Schleife scheint dich sehr zu interessieren, Echo«, sagte Mrs Collins. »Du darfst sie gerne in die Hand nehmen.«
»Nein, schon gut«, erwiderte ich. Aber es war überhaupt nicht gut. Meine Finger zuckten in meinem Schoß. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund wollte ich die Schleife anfassen. Mrs Collins sagte nichts, und die Stille wurde mir immer unheimlicher.
Mein Herzschlag stolperte einen Augenblick, als ich mich auf einmal vorbeugte und die Schleife in die Hand nahm.
Es war nicht irgendein billiges Exemplar, sondern sie war aus echter Seide und richtig groß. Ich rieb den Stoff zwischen den Fingern. Erster Platz: Malen – Kentucky Governor’s Cup.
Jemand von meiner Schule hatte den Governor’s Cup gewonnen. Das war der absolute Wahnsinn! Jeder einigermaßen ambitionierte Kunstschüler an der Highschool träumte davon, diesen Wettbewerb zu gewinnen.
Vielleicht gab es in den niedrigeren Klassen irgendein Genie, von dem ich nichts wusste. Zum Teufel mit meinem Vater – sobald Mrs Collins mich hier rausließ, würde ich in den Zeichensaal gehen und mir dieses Wunderkind mal anschauen. Um den ersten Preis beim Governor’s Cup zu gewinnen, musste man einfach ein Riesentalent haben.
Als ich das Band erneut zwischen Daumen und Zeigefinger rieb,
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