Noah: Thriller (German Edition)
etwas Schreckliches verdrängen, etwas sehr Schreckliches. Und es wartet auf dich da draußen. Solange du hier untergetaucht bleibst, bist du in Sicherheit.«
Noah hatte sich eine Weile fassungslos in dem Versteck umgesehen, das er bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht ein einziges Mal verlassen hatte. Nicht einmal für die Notdurft, um die sich Oscar mit Bettpfanne und einer mit Trichter versehenen Pfandflasche gekümmert hatte.
»Soll das heißen, ich soll für immer mit dir hier im Untergrund leben?«
In einem fensterlosen Gerümpelkeller?
Damals hatte Noah noch nicht geahnt, dass er sich nicht in einem Keller, sondern in einem Verschlag am Ende eines blinden U-Bahn-Tunnels, zehn Meter unter der Berliner Erde, befand. Die regelmäßig wiederkehrenden Geräusche hatte er nicht als das Rattern einer U-Bahn auf ihrem Gleisbett erkannt, einfach weil er viel zu sehr damit beschäftigt war, die anderen Rätsel zu lösen. Zudem vermittelte ihm das Versteck tatsächlich ein Gefühl der Sicherheit, das er nicht in Frage stellen wollte.
Oscar hatte sich redlich Mühe gegeben, es behaglich einzurichten. Drei der vier Betonwände waren mit selbstgezimmerten Regalen versehen, deren Bretter sich unter der Last unzähliger Bücher bogen. Es gab Strom und ein funktionierendes Handwaschbecken neben einem zum Schreibtisch umfunktionierten ledernen Reisekoffer, der auf zwei Ziegelsteinsockeln stand.
Das Wasser zapfte sich Oscar direkt von einem Rohr aus der Wand, den Strom von den Versorgungsleitungen der Schienen, die sich in dicken Strängen unter der Decke langzogen. Alles in allem erinnerte der Verschlag an eine zum Hobbyraum umfunktionierte Garage, mit verschiedenfarbigen Teppichresten ausgelegt, einem in die Wand geschraubten, tragbaren Fernseher (der erst seit zwei Jahren funktionierte, seitdem in der Berliner U-Bahn das Funknetz für den Handyempfang verstärkt worden war, wie Oscar ihm erklärt hatte) und einem kleinen, aber sauberen Kastenbett, wie man es eher in einem Kinderzimmer erwartete, direkt neben der provisorischen Kochstelle mit Bunsenbrenner.
Alle Möbel und Gegenstände waren offensichtlich aus dem Sperrmüll zusammengeklaubt, repariert und gesäubert worden, nur der Mini-Kühlschrank unter dem Waschbecken, dessen Ventilator ununterbrochen rauschte, wirkte neu.
»Selbstverständlich sollst du nicht für immer hierbleiben«, hatte Oscar gesagt und dabei seinen Blick durch den ärmlichen, aber auf eigentümliche Weise sogar gemütlichen Unterschlupf gleiten lassen.
Das Einzige, was Noah an der Behausung wirklich gestört hatte, war die andauernde Hitze. Ein gewaltiges Heißluftrohr verlief durch den Boden und sorgte damit für eine gut funktionierende, aber nicht regulierbare Fußbodenheizung. Noah hatte gehofft, er würde sich daran gewöhnen, sobald seine eigene Körpertemperatur wieder jenseits der 40-Grad-Marke lag, doch das war ihm nicht gelungen.
»Du bleibst nur so lange, bis du dein Gedächtnis wiedergefunden hast«, hatte Oscar vorgeschlagen. »Erst wenn du die Hölle kennst, die auf dich wartet, solltest du wieder dorthin zurückkehren, meinst du nicht? Und was hast du schon zu verlieren, außer Zeit? Wenn sich dein Zustand nicht bessert, kannst du immer noch das Risiko eingehen und zur Polizei gehen.«
Damals hatte Noah sich einverstanden erklärt, wenn auch nur zum Schein. Er war viel zu resigniert und erschöpft, um einen eigenen Plan zu fassen. Sein Einverständnis, vorerst an Oscars Seite zu bleiben und sich seinen Ratschlägen zu fügen, sollte nur so lange gelten, bis er genug Kraft gesammelt hatte, um wieder eigene Wege zu gehen, wohin auch immer diese ihn führen mochten.
Heute, zwei Wochen nach dieser Unterredung, spürte er, dass der Moment des Abschieds nicht mehr fernlag. Spätestens morgen, das beschloss er in dieser Minute, würden sich ihre Wege trennen.
»Sie hat dir Toto einfach so überlassen?«, fragte Oscar noch einmal. Mittlerweile hatten sie die Brücke passiert, und der Bürgersteig war nicht mehr so vereist wie die kaum gestreute Überführung.
»Ja.«
»Siehst du. Und genau deshalb hab ich mich deiner angenommen. Ich weiß nicht, wer du bist, aber ich weiß, was du bist.«
»Und?«
Was bin ich?
Oscar blieb wieder stehen, diesmal, um sich einen Schnürsenkel zu binden. Dazu stellte er den rechten Stiefel auf eine Parkbank. Seine wulstigen Finger verkrampften sich in der eisigen Luft, als er sich dafür die Handschuhe ausziehen musste.
»Du bist etwas Besonderes,
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