Noah: Thriller (German Edition)
mächtig demoliert wirkendes Kartentelefon neben einem Mülleimer an der gegenüberliegenden Wand, dessen Hörer an seinem Kabel herunterhing.
»Und keiner hilft dir, wenn dich jemand abziehen will.« Er machte eine Pause. »Oder anzündet.«
»Anzündet?«
Noah, der gerade den Rucksack hatte öffnen wollen, um nach Toto zu sehen, hielt in der Bewegung inne. Oscar schnalzte lakonisch mit der Zunge.
»Frag mich nicht, wieso, aber aus irgendeinem Grund ist es gerade in Mode, Penner im Schlaf mit Benzin zu übergießen und …« Oscar bewegte den Daumen, als wollte er ein Feuerzeug benutzen. Dann zog er sich seine Pudelmütze vom Kopf und faltete sie einmal quer, offenbar plante er, sie als Kopfkissen zu benutzen.
»Deshalb ist es hier in diesem Bereich so leer. Die meisten fürchten sich, auch weil hier ab Mitternacht das Licht ausgeht und du dann komplett Freiwild bist. Aber trotzdem ist das immer noch besser, als unten auf dem Bahnsteig pennen zu müssen.«
»Wieso?«
»Heute ist Samstag. Am Wochenende drehen die Kids immer durch. Vor allem die aus besserem Hause. Allein in diesem Monat wurden zwei von uns auf die Gleise geworfen, als Mutprobe. Die traurige Nachricht ist: Sie haben überlebt, wenn du verstehst, was ich meine.« Oscar zeigte auf seine Beine und machte eine sägende Handbewegung.
»Sehr beruhigend«, murmelte Noah und öffnete endlich den Rucksack. Als er Toto sanft herausnahm, hielt der Hund die Augen fest geschlossen und zitterte am ganzen Körper. Im Gegensatz zu ihrem Schlafplatz, der nach Urin stank, roch der Welpe wie frisch gebadet. Glücklicherweise schien er noch nicht in den Rucksack gemacht zu haben.
»Hey, Kleiner.« Er hielt das braune Mischlingsknäuel mit beiden Händen. Das Fell, unter dem sich die Rippen wie Zahnstocher abzeichneten, fühlte sich warm und gemütlich an. Als er die Nase berühren wollte, versuchte Toto an seinem Finger zu lecken.
»Er hat Durst«, kommentierte Oscar das Offensichtliche.
Noah wühlte in Patricias Rucksack und fand unter einer Rolle Klopapier und einem alten Putzlappen, der dem Welpen als Nest gedient hatte, einen Glasaschenbecher und eine Kunststoffflasche mit der Aufschrift »Welpenmilch«. Als er noch weiterkramte, stieß er auf ein durchsichtiges Tütchen, in dem sich offensichtlich etwas Trockenfutter befand.
Auch wenn du dich selbst schon aufgegeben hast, Pattrix. Wenigstens um deinen Hund wolltest du dich kümmern.
Vorsichtig goss Noah ein paar Schlucke von der Milch ein, nachdem er die Innenfläche des Aschenbechers mit etwas Spucke und Zeitungspapier ausgerieben hatte, doch als er Toto davorsetzte, machte der keine Anstalten, etwas trinken zu wollen. Erst als Noah den kleinen Finger benetzte und ihm damit einige Tropfen auf das Maul träufelte, zeigte sich wieder die Zunge, und Toto öffnete sogar ein Auge.
»Der ist viel zu früh von seiner Mutter getrennt worden«, stellte Oscar fest, während er die Freitagsausgabe einer großformatigen Zeitung über sich ausbreitete. »Bestimmt vom Polenmarkt oder so. Ohne Impfung, dafür mit Parasiten und was weiß ich.« Er seufzte wie jemand, dem klar ist, dass er den Lauf der Dinge ohnehin nicht verändern kann, selbst wenn er es wollte.
»Besser, wir schlafen abwechselnd«, wechselte er das Thema und ließ, indem er sich unter seiner Zeitungsdecke zur Wand drehte, keinen Zweifel daran aufkommen, wer dabei den Anfang machen sollte.
»Und weck mich ja nicht«, brummte er. »Meine innere Uhr ist frisch aufgezogen. Ich wach von ganz alleine in zwei Stunden wieder auf.«
Noah wollte protestieren, doch Toto beanspruchte vorerst seine komplette Aufmerksamkeit und forderte nach weiterer Milch, indem er ungestüm an seinem Finger saugte.
»Ja, ja. Ist ja schon gut.«
Er versuchte es erneut mit dem Aschenbecher, und diesmal rappelte sich der Kleine tatsächlich dazu auf, etwas daraus zu trinken. Das Tier dabei zu beobachten, wie es etwas tapsig, aber entschlossen vor dem Glas stand und erst langsam, dann immer gieriger die Nahrung daraus schlürfte, hatte etwas Beruhigendes. Zum ersten Mal seit langer Zeit spürte Noah, wie sich seine permanente innere Anspannung legen wollte, und das ausgerechnet auf dem Boden eines U-Bahnhofs. Er musste an die eisigen Temperaturen denken und an die vielen Menschen in der Schlange in der Franklinstraße. Die Vorstellung, dass einige von ihnen vielleicht noch da draußen waren, ließ ihn erschauern.
Oscar hatte ihm nicht viel über sich und seine Vergangenheit
Weitere Kostenlose Bücher