Noahs Kuss - - ...Und plötzlich ist alles anders
hätten wir es vorher so ausgemacht, obwohl wir ja extra keinen Plan geschmiedet haben, steuern wir beide auf den Kiosk mit dem Tretbootverleih zu. Eine einsame Ente begrüßt uns davor. Rechts am Ufer brettern Skatepunks über eine selbst gebaute Rampe, dröhnen sich dabei die Ohren mit Queercore zu und berauschen sich am Wind, den die Geschwindigkeit ihrer eigenen Körper erzeugt. Links am Ufer bekommt eine Gruppe Joy Scouts Gitarrenunterricht von einem ehemaligen Mönch. (Wir hatten früher einen Stamm Boy Scouts in unserer Stadt, aber als die Pfadfinder dann beschlossen haben, dass Schwule in ihren Reihen nichts zu suchen hatten, beschloss wiederum unser Pfadfinderstamm, dass die Boy Scouts in unserer Stadt nichts zu suchen hatten, der Ex-Boy-Scouts-Stamm änderte einfach seinen Namen in Joy Scouts und dann machten sie weiter wie vorher.)
Die Oberfläche des Teichs liegt wie ein zerknittertes blaues Seidenhemd vor uns, mit den kleinen Bojen als Knöpfen. Der Tretbootverleiher hat seine Boote nach seinen sieben Töchtern benannt. Ich habe bisher immer Trixie gewählt, schon als ich klein war, weil es orange ist und den lustigsten Namen hat. Dieses Mal aber blickt mich der Verleiher erstaunt an, weil ich Noah sofort zustimme, als er die hellgrüne Adaline auswählt. Ich folge seinen spontanen Einfällen gern. Mir gefällt die Vorstellung, mit ihm zusammen in einem Boot zu sitzen, das ich noch nie vorher ausgeliehen habe. Trixie hat mich schon mit Joni und Kyle und anderen Freunden und guten Freunden erlebt. Sie hat mich auch schon stundenlang allein erlebt, wenn ich durch heftiges Treten und eine breite Spur im Wasser meine Probleme zu lösen versuchte. Aber Adaline kennt keines der Geheimnisse aus meinem früheren Leben.
Noah und ich fangen diesmal an, über unsere Lieblingsbücher und Lieblingsmaler zu reden– wir teilen uns unsere Erweckungserlebnisse mit, hoffen, dass der andere ähnliche hatte. Ich weiß, dass das etwas ganz Normales ist, wenn man sich zum ersten Mal mit jemandem verabredet, den man noch gar nicht kennt. Aber für mich ist es trotzdem überraschend und neu. Weil ich das ganze Leben in derselben kleinen Stadt verbracht habe, bin ich nicht daran gewöhnt, mich mit Jungs zu verabreden, die mir fremd sind. Bisher habe ich alle immer schon gekannt. Außer Tony, aber das war ja eine ganz andere Geschichte.
Natürlich gibt es bei jedem kleine Geheimnisse zu entdecken, aber meistens hatte ich immer schon ein Bild desjenigen im Kopf, den ich dann näher kennengelernt habe. Bei Noah ist das anders. Er ist neu für mich. Und ich bin neu für ihn. Es wäre ein Leichtes, zu lügen– so zu tun, als hätte ich genau die gleichen Lieblingsbücher und Lieblingsbilder, oder eine total hochgetrimmte Auswahl zu treffen. Aber ich erzähle die Wahrheit. Ich will, dass zwischen uns alles wahr ist.
Der Bootsteich ist nicht sehr groß. Wir durchqueren ihn wieder und wieder, aber immer in einem anderen Winkel. Wir ändern die Richtung, wie wir unsere Gesprächsthemen wechseln– langsam, behutsam, ohne Zwang.
» Ich mache das nicht oft«, sagt Noah. » Also, du weißt schon, so wie jetzt mit jemand die Zeit verbringen.«
» Ich auch nicht«, sage ich. Was irgendwie auch stimmt, aber vermutlich nicht ganz so wahr ist wie das, was er mir gesagt hat.
» Das ist bei mir schon eine ganze Weile her«, sagt er.
» Und was war da?«, frage ich, weil ich zu spüren glaube, dass er möchte, dass ich es frage.
Vielleicht habe ich das falsch gespürt. Er hört nämlich eine Sekunde zu treten auf und schaut mich dunkel-traurig an.
» Du musst es mir nicht erzählen«, sage ich leise.
Er schüttelt den Kopf. » Nein… ist schon in Ordnung. Halt eine dieser Sachen, über die man eigentlich nicht reden will, von denen man aber weiß, dass man irgendwann über sie reden muss, und wenn das dann so ist, dann hofft man, dass es vielleicht nicht mehr so wichtig ist, wenn man es ausgesprochen hat. Wirklich keine sehr interessante Geschichte. Ich hab diesen Jungen halt einfach sehr gemocht. Und ich hab geglaubt, dass er mich auch sehr mag, aber in Wirklichkeit hat er mich wohl überhaupt nicht besonders gern gehabt. Er war mein erster richtiger Freund, und ich hab ihn zu meinem Ein und Alles gemacht– er war mein neues Leben, meine große Liebe, meine einzige Perspektive. Wahrscheinlich ist das der Fehler bei allen ersten Malen– dass man den Sinn für die Proportionen verliert. Ich hab den kompletten Idioten aus mir gemacht,
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