Noahs Kuss - - ...Und plötzlich ist alles anders
Freund. (Sie haben Monate gebraucht, um zu realisieren, dass Tony und ich kein Liebespaar sind.)
Nein, ich habe keine Angst, dass meine Eltern Noah mit einer Mistgabel aus dem Haus jagen könnten. Meine Befürchtung ist eher, dass sie zu freundlich sind und ihm alles Mögliche über mich erzählen, was er noch nicht zu wissen braucht oder jedenfalls nicht durch sie erfahren soll. Deshalb verstecke ich vorsichtshalber das Familienalbum in einer Schublade und ziehe den Schlüssel ab. Und ich beschließe, Noah einfach nur als » einen neuen Freund von mir« vorzustellen, ohne genauere Erläuterungen. Jay, der (wie jeder ältere Bruder) großen Spaß daran hat, mich in peinliche Situationen zu bringen, ist der große Risikofaktor– er ist Samstagmittag immer beim Tennistraining, aber man kann sich nie sicher sein, wann er aufkreuzt.
Ich räume mein Zimmer pedantisch auf und mache danach gezielt Unordnung, damit es nicht mehr ganz so aufgeräumt aussieht. Ich habe Angst, es könnte bei mir nicht spleenig genug sein. Stattdessen gibt es bei mir das Museum meines bisherigen Lebens zu besichtigen– von meinen Snoopys mitsamt Wechselgarderobe über die Glitzerdiskokugel, die mir meine Eltern nach Abschluss der fünften Klasse geschenkt haben, bis hin zu den immer noch aufgeschlagenen Oscar-Wilde-Büchern auf dem Boden, die ich für mein Englisch-Referat in der letzten Woche gebraucht habe.
Das ist mein Leben, denke ich. Ich bin eine Ansammlung von Gegenständen.
Es läutet auf den Schlag genau um zwölf Uhr, als wäre die Klingel mit einer alten Standuhr verbunden.
Noah kommt pünktlich. Und er hat mir Blumen mitgebracht.
Ich breche fast in Tränen aus. Ich bin eine solche Heulsuse, aber das mit den Blumen macht mich gerade so glücklich. Hyazinthen und Jacarandas sind dabei und ein Dutzend anderer Blumen, die ich gar nicht alle aufzählen kann. Ein ganzes Blumenalphabet, und alle für mich. Noah lächelt, sagt Hallo und drückt sie mir in die Hand. Sein T-Shirt leuchtet in der Sonne. Die Haare fallen ihm wie immer in die Stirn. Er wippt nervös auf dem Fußabstreifer und wartet darauf, dass ich ihn hereinbitte.
Ich beuge mich vor und küsse ihn. Dabei geraten die Blumen zwischen unsere T-Shirts und müssen etwas leiden. Ich berühre sanft seine Lippen, ich atme ihn ein. Ich schließe die Augen, öffne sie wieder. Er ist überrascht, das spüre ich. Ich bin es auch. Da küsst er mich zurück– mit einem Kuss wie ein Lächeln.
Wie schön das ist.
Nein, falsch, es ist absolut fantastisch und wundervoll.
» Hallo«, sage ich.
» Hallo«, antwortet Noah.
Ich höre Schritte die Treppe herunterkommen. Meine Eltern.
» Komm rein«, sage ich. In der einen Hand halte ich die Blumen, die andere reiche ich ihm. Noah nimmt sie, als er ins Haus geht.
» Hallo, ihr zwei«, sagen meine Eltern gleichzeitig. Mit einem Blick haben sie nicht nur den Blumenstrauß entdeckt, sondern auch, dass wir Händchen halten. Da können sie sich sofort denken, dass Noah mehr ist als einfach nur ein neuer Freund.
Das ist mir egal.
Als Noah meine Mutter mit » Sehr erfreut, Sie kennenzulernen« begrüßt, mustert sie reflexartig seine Zähne. Ich kann es ihr kaum vorwerfen, denn sie ist Zahnärztin und kann einfach nicht anders. Unser größter Kampf, den wir jemals miteinander ausgefochten haben, drehte sich um die Zahnspange, die sie mir verordnen wollte. Ich habe mich mit allen Mitteln dagegen gesträubt und beim Kieferorthopäden einfach den Mund nicht aufgemacht, sodass er keinen einzigen Blick auf meine Zähne werfen konnte. Er hat dann damit gedroht, die Klammer von außen an meinem geschlossenen Mund anzubringen, aber irgendwann war das Thema erledigt. Ich habe für alle Zeiten bewiesen, dass mich niemand zu etwas zwingen kann, das ich nicht will– was man meinen schiefen Zähne bis heute ansieht. Meiner Mutter ist das immer noch ein Dorn im Auge, das weiß ich, obwohl sie darüber kein Wort mehr verliert.
Weil ich aber der Sohn meiner Mutter bin, habe ich bei der ersten Begegnung sofort bemerkt, dass Noah eine leichte Fehlstellung der unteren Schneidezähne hat. Und weil ich nicht nur der Sohn meiner Mutter bin, finde ich diesen kleinen Makel entzückend.
» Freut mich ebenfalls, Sie kennenzulernen«, sagt mein Vater und streckt seine Rechte aus, um die von Noah zu schütteln. Wir lassen schnell unsere Hände los, damit Noah einen guten Eindruck machen kann. Der Händedruck meines Vaters ist perfekt, weder zu lasch noch zu fest.
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