Noahs Kuss - - ...Und plötzlich ist alles anders
nur dass ich es damals nicht gemerkt habe. Ich war so voller Hingabe.« Wie er das Wort » Hingabe« ausspricht, klingt es hart und sarkastisch und seine Verletzung ist noch immer deutlich herauszuhören. » Und ich war ihm total egal. Er war ein Jahr älter als ich, und eine Zeit lang habe ich das als Entschuldigung dafür benutzt, wie ich so blind gewesen sein konnte, nicht zu bemerken, dass er mich mit ungefähr der Hälfte der Jungs aus seinem Jahrgang betrog. Ich dachte, ich hätte ein so klares und genaues Bild von ihm. Aber ich hab eigentlich überhaupt nicht gesehen, wer er wirklich war. Und er hat noch nicht mal versucht, mich wirklich wahrzunehmen.«
Wir schweigen beide eine Weile.
» Irgendwann hat er es mir dann gesagt«, fuhr Noah fort. » Und das Verrückte daran war, dass er dabei so nett zu mir war wie noch nie– oder zumindest seit sehr langer Zeit nicht. Ich nehme an, dass er ein wahnsinnig schlechtes Gewissen hatte. Er hat mir gesagt, wie toll ich sei, und eben deshalb, weil er mich so sehr schätzen würde, hätte ich das Recht darauf, ein paar Dinge zu erfahren. Und natürlich habe ich mich danach monatelang gefragt, warum er dann dieses üble Spiel mit mir getrieben hatte, wenn ich angeblich so toll war. Ich war am Boden zerstört. Zerstörter, als ich hätte sein müssen– aber das begreife ich erst jetzt. Es war so unfair von ihm. Und das Gegenteil von nett. Als meine Eltern beschlossen haben umzuziehen, war ich über diese Geschichte immer noch nicht ganz hinweg. Deswegen war ich auch so unglaublich erleichtert, alles hinter mir zurücklassen zu können. Ich hab es nicht ertragen, ihn in der Schule dauernd mit irgendwem herumstehen zu sehen. Das hat mich immer daran erinnert, wie naiv ich gewesen war.«
Ich nicke und gehe innerlich noch einmal durch, was er gesagt hat. Mir fällt auf, dass Noah den Namen des Jungen nicht genannt hat (wobei es ganz bestimmt dieser Pitt ist, den Noahs Schwester erwähnt hat). Mir fällt auf, dass Noah die ganze Zeit mich angeschaut hat anstatt aufs Wasser oder in die Richtung, in die wir fahren: Er hat mir seine Geschichte nicht nur erzählt– er hat sie mir dargereicht. Mir fällt die Hoffnung und Erwartung in seinen Augen auf, der dringende Wunsch, dass ich genau verstehen möge, was er mir da mitteilen will. Und das tu ich auch, bis zu einem gewissen Grad. Noahs Geschichte erinnert mich an meine eigene Zeit mit Kyle, ohne dass es sich wirklich um eine vergleichbare Geschichte handelt. Denn Kyle hat sich mir gegenüber zwar ganz bestimmt nicht fair verhalten und die Geschichte zwischen uns hat auch ganz bestimmt nicht nett geendet. Aber Kyles Verhalten und seine Absichten waren viel unklarer, er wirkte selbst verwirrt. Oder vielleicht möchte ich mir das nur weismachen.
Ich erzähle Noah ein paar Details aus meiner Beziehung mit Kyle– wie könnte ich das an dieser Stelle nicht?– und aus ein paar anderen verunglückten Beziehungen, die ich hatte. Mehr die lustigen Storys als die wirklich schmerzvollen. Zum Beispiel von meinem Reinfall in der siebten Klasse, als ich mal ein Blind Date mit einem Jungen hatte, der sein Hemd in die Unterhose und seine Hose in die Socken steckte, um » mehr Sicherheit« zu haben. Von dem Jungen im Sommercamp, der jedes Mal kicherte, wenn ich ein ganz bestimmtes Adverb benutzt habe. Oder von dem finnischen Austauschschüler, für den ich immer so tun musste, als sei ich Molly Ringwald, wenn wir zusammen ausgegangen sind.
Diesem Austausch unserer Geschichten liegt eine unausgesprochene Vereinbarung zugrunde– dass wir nämlich über die verunglückten Dates und die Jungs, die uns übel mitgespielt haben , reden können, weil das hier kein verunglücktes Date ist und weil wir uns gegenseitig nicht übel mitspielen werden. Wir vergessen, dass unsere früheren Beziehungen (definitiv die mit Kyle, wahrscheinlich auch die mit Pitt) auf ähnlich wunderschöne Weise begonnen haben. Wir zeichnen unser bisheriges Leben schwarz-weiß, damit die Farbfotografie des Augenblicks umso stärker strahlt und leuchtet.
So feiern wir beide einen neuen Anfang.
Wir reden über die Schule und wir reden über die anderen Jugendlichen hier in der Stadt. Ich erzähle ihm von meinem Bruder und er erzählt mir von seiner Schwester. Nach einer Weile werden unsere Beine vom vielen Treten müde und wir finden keinen neuen Winkel mehr, in dem wir den Teich durchqueren können. Deshalb hören wir auf zu treten und lassen uns einfach treiben. Wir
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